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0024 - Bestien aus dem Schattenreich

0024 - Bestien aus dem Schattenreich

Titel: 0024 - Bestien aus dem Schattenreich
Autoren: Susanne Wiemer
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förmlich das Mark aus den Knochen gesogen und ihn binnen weniger Stunden in eine traurige Figur verwandelt.
    Jetzt stand er mit Kommissar Didier und einigen anderen Beamten im Wohnzimmer seines Apartments und fieberte der Begegnung mit dem Herrn der Wölfe entgegen, die er hinter sich bringen musste und die er trotz aller Sicherheitsvorkehrungen so fürchtete, dass er am liebsten davongelaufen wäre.
    »Sie sind verantwortlich, wenn mir etwas geschieht, Messieurs«, sagte er gequetscht. »Es war Ihre Idee, vergessen Sie das nicht! Nur Ihre Idee!«
    »Wir waren uns einig darüber, dass es im Interesse Ihrer Sicherheit die beste Methode ist, Monsieur Javel«, wiederholte Didier zum x-ten Male geduldig. »Ihr bester Schutz ist es, alle Forderungen des Gangsters zu erfüllen. Natürlich könnten wir auch einen Kriminalbeamten in Ihrer Maske zu dem Treffpunkt schicken, aber wenn der Verbrecher das merkt, sind Sie erst recht in Gefahr, sehen Sie das nicht ein?«
    Der dürre Nachtclub-Besitzer schluckte.
    »Doch«, musste er zugeben. »Doch, das sehe ich ein. Wie spät ist es?«
    »Eine halbe Stunde vor Mitternacht. Sie müssen jetzt fahren.«
    Javel seufzte tief auf. Sein ohnehin blasses Gesicht war noch weißer, als er nach der Tasche mit den hunderttausend Franc griff. Die Vorstellung, dass er das Geld tatsächlich übergeben musste, bereitete ihm fast körperliche Schmerzen. Geld war für ihn das, was für einen anderen Glück und Gesundheit, Liebe und Ruhm zusammengenommen bedeuten mochten. Und das Einzige, was ihn noch aufrecht hielt und was ihn befähigte, den kommenden Ereignissen ins Auge zu sehen, war der brennende Wunsch, unter allen Umständen seine hunderttausend Francs zu retten.
    Steifbeinig verließ er die Wohnung, fuhr mit dem Lift in die Tiefgarage und stieg in seinen Wagen. Der Motor der Caravelle kam sofort. Javel rollte auf die Straße, bog nach links ab, hatte nach wenigen Minuten den Eiffel-Turm erreicht und näherte sich dem Quai de Grenelle.
    Vermutlich hätte er keinen Parkplatz gefunden, aber die besondere Situation gab ihm die Möglichkeit, unter einem Halteverbotsschild zu parken – was ihm die im Voraus schadenfrohen Blicke einiger Passanten eintrug, die die Pariser Polizei kannten. Ives Javel achtete nicht darauf. Er stieg aus, zog die Aktentasche mit dem Geld aus dem Wagen und stieß nach wenigen Schritten auf die Straße, die dem Lauf der Seine folgte und durch eine Mauer von dem dunklen, sanft plätschernden Wasser getrennt wurde.
    Trotz der späten Stunde herrschte noch Betrieb. Passanten bewegten sich über die Gehsteige, Liebespaare, amerikanische Touristen mit ihren unvermeidlichen Kameras. Niemand hatte es eilig, die weiche Frühlingsluft schien wie Sekt auf die Menschen zu wirken.
    Dunkel und majestätisch hoben sich die Steinbögen einer Brücke ab, der Abglanz des Lichtermeeres ließ das Wasser erglänzen und machte den ganzen Zauber der Szenerie lebendig – aber Ives Javel hatte keine Augen für die Schönheit dieser Stunde.
    Er ging langsam am Fluss entlang. Auf einer Strecke von zweihundert Metern folgte er dem Quai de Grenelle, dann blieb er stehen.
    Unschlüssig lehnte er sich mit dem Rücken an die Brücke und sah sich um.
    Von den Kirchtürmen ringsum schlug es Mitternacht. Javel presste die Lippen zusammen und zog die Schultern hoch, als friere er. Das unangenehme Gefühl in seiner Magengegend nahm zu. Immer wieder blickte er in die Runde, tastete mit den Augen den gegenüberliegenden Gehsteig ab – aber als der Mann, den er erwartete, schließlich auftauchte, kam er völlig überraschend.
    Javel spürte die Bewegung neben sich.
    Er zuckte zusammen, fuhr herum und blickte in ein Gesicht, das von einem hellen, breitrandigen Filzhut im Gatsby-Stil beschattet wurde.
    Der Mann war groß, breitschultrig und knochig. Eigentlich hätte er Javel auffallen müssen, weil er seine Augen hinter einer blau getönten Brille versteckte, aber der Nachtclub-Besitzer konnte sich nicht erinnern, ihn bemerkt zu haben. Der Bursche trug einen Trenchcoat, der nagelneu aussah, dazu eine dunkle Hose und zweifarbige Schuhe, an denen Lehm klebte. Das alles erfasste Javel mit einem einzigen Blick – und innerhalb der Sekunde, die er brauchte, um sich zu fassen.
    »Hallo«, krächzte er. Seine Stimme klang dünn und unsicher. »Suchen Sie mich, Monsieur?«
    Der Fremde starrte ihn an.
    Noch durch die dunkle Brille glaubte Javel, das drohende Glitzern der Augen zu erkennen, doch das war
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