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0018 - Die Hexenschwestern

0018 - Die Hexenschwestern

Titel: 0018 - Die Hexenschwestern
Autoren: Dieter Saupe
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war das Bersten der altersschwachen Mauern zu hören.
    Keine Menschenseele war in der heimgesuchten Stadt zu sehen.
    Achmud Haddur lenkte sein Fahrrad auf den alten Feldweg, der rund um die Stadt führte. So brauchte er fast eine Stunde länger, um den Friedhof am anderen Ende Chattusas zu erreichen.
    Obwohl die Familie jedesmal mehr als zehn Kilometer zurücklegen mußte, um die Gräber ihrer Toten zu erreichen, brachte sie diese Wegstrecke gern hinter sich. Schließlich waren alle Haddurs auf dem Familienfriedhof von Neu-Chattusa untergebracht. Das war Tradition. Die Haddurs hatten in früheren Zeiten sogar einmal einen Sultan zu ihren Mitgliedern gezählt. Einen Sultan, dem man ungezählte Grausamkeiten nachsagte, aber immerhin einen Herrscher, der mit Pomp und Herrlichkeit regiert hatte. Die Haddurs waren stolz auf ihren Namen. Auch wenn die Zeiten des Glanzes vorbei waren. Man trug den Namen noch mit dem gleichen Stolz, als zählte man zu den fürstlichen Herren seines Landes.
    Endlich hatte Achmud Haddur den Friedhof erreicht. Er stieg vom Rad, lehnte es an die Mauer und trat durchs Tor. Schon sah er die Verwüstung, die das Unwetter angerichtet hatte. Bäume und Sträucher waren geknickt, die Wege mit Blumen übersät, die Grabhügel teilweise weggeschwemmt.
    In der Mitte des Friedhofes lag die private Abteilung der Familie Haddur. Ein prächtiges, von Säulen umgebenes Rasenstück von rund sechzig mal achtzig Metern. Kostbare Grabsteine verrieten den ehemaligen Reichtum der Familie. Zedern und Buchsbaumhecken bewahrten die Gräber vor den neugierigen und lästigen Blicken von Fremden.
    Auch dem Leutnant nahm diese Baumgruppe zunächst die Sicht.
    So sollte er das Grausame, das sich abgespielt hatte, erst erkennen, als er direkt auf das Grab seines Sohnes zutrat.
    Nur die kleine schmiedeeiserne Pforte trennte ihn noch von dem Familienfriedhof. Er öffnete sie und betrat den klatschnassen Rasen vor den Gräbern.
    Über ihm fauchte mit unverminderter Stärke der Sturm. Zweige brachen von den Bäumen und sanken zu Boden. Aus tausend unsichtbaren Kanälen ergossen sich kleine Sturzbäche.
    Die dichten Bäume verstärkten das Dunkel, das am Himmel aufgezogen war. Wie durch einen Schleier sah Achmud auf die Gräber vor sich. Aber was war das dort hinten? Dort, wo das Grab seines Sohnes war? Was sollte dieser lehmigbraune Hügel dort?
    Achmud Haddur trat näher. Eine ungeheure Ahnung stieg in ihm auf.
    Noch zwanzig Schritte bis zu jenem schmutzigbraunen Hügel aus Erde und Lehm.
    Noch zehn Schritte.
    Dann stand er vor dem Grab seines Sohnes.
    Aber das Grab war kein Grab mehr!
    Ein riesiges Loch gähnte dem Polizeileutnant entgegen!
    ***
    Entsetzt schrie Haddur auf. Sein Schrei brach sich in dem Viereck aus steinernen Säulen und nassem Laub. Dann zerfetzte der Sturm den Wahnsinnsschrei Achmud Haddurs.
    Wie von Sinnen starrte der vom Regen völlig durchnäßte Mann in die leere Tiefe vor sich. Das Grab war geöffnet und ausgeraubt worden! Keine Spur von dem Sarg, keine Spur von dem Leichnam seines Sohnes!
    Da kroch die Angst in Achmud Haddur hoch. Sie drohte ihn zu lähmen. Er brachte keinen zweiten Schrei mehr heraus. Er stand wie angewurzelt und starrte auf das leere Grab. Dann wich er zurück.
    Schmatzend gab der Rasen unter seinen Schritten nach, sog die Schuhe an, als wolle er den Mann verschlingen.
    Achmuds Mund öffnete sich zu einem weiteren Schrei. Doch auch diesmal blieb er stumm. Er prüfte, ob alles um ihn Wahrheit war. Er hörte das Fauchen des Sturms, hörte das Tropfen und Rauschen von Wasser. Sein Gehör arbeitete richtig. Und auf seine Augen konnte er sich ebenfalls verlassen. Das offene Grab vor ihm war kein Spuk, keine Halluzination, nichts Gespenstisches und Übersinnliches.
    Es war die nackte und entsetzliche Wahrheit!
    Achmud Haddur, der Vater, sah es mit grenzenlosem Entsetzen.
    Achmud Haddur, der Sohn, war aus seinem Grab entführt worden!
    Furcht peinigte den Leutnant. Er stand da wie jemand, der im nächsten Augenblick in Wahnsinn ausbrechen würde. Er begann zu zittern und spürte die Kälte und die Feuchtigkeit, die durch seine Kleider drangen und sich auf seiner Haut ausbreiteten.
    Angst, Entsetzen und ein halber Tod. Nur Haddurs Gedanken jagten und erinnerten ihn daran, daß er noch lebte. In seinem Inneren waren keine Gefühle mehr. Er spürte nur, wie ihn etwas bedrohte.
    Er konnte nicht sagen, woher diese Drohung kommen könnte. Er wußte nichts mehr.
    Er faßte sich an den Kopf und
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