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0018 - Die Hexenschwestern

0018 - Die Hexenschwestern

Titel: 0018 - Die Hexenschwestern
Autoren: Dieter Saupe
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Sitzfläche der Bank dunkelrot.
    Und dann sah Achmud Haddur das Unglaubliche. Die Hexe beugte sich zu ihrem Opfer hinab. Ihre Zähne gruben sich in das Fleisch der rechten Schulter.
    Von alledem schien der junge Mann nichts zu spüren. Sein Vater sah wohl das ängstliche Flackern in den Augen, sah die krampfartigen Zuckungen seiner Hände, doch der junge Haddur schien unter der rohen Behandlung der blutdürstigen Bestie keinen Schmerz zu spüren.
    Als der Vater sich erheben wollte, wurde er nicht mehr zurückgeworfen. Er ging einen Schritt auf die Hexe zu, wollte sie endgültig von ihrem Opfer ablenken, aber er kam nicht dazu.
    »Du kannst sie nicht besiegen, Vater«, sagte eine schwache Stimme. Der Leutnant sah, wie sein Sohn auf der Bank zusammenzuckte und liegenblieb.
    »Gott im Himmel!« stöhnte der Leutnant. »Haddur, bleibe am Leben, ich flehe dich an!«
    »Er lebt!« schrie die Hexe ihm entgegen. »Er lebt und wird nicht sterben, solange ich es nicht will. Er wird essen. Ich werde ihn unter meine Obhut nehmen, ihn aufziehen und süßes Blut in seinen Adern finden. Sein Blut wird meine Speise sein und mein Trank. Sein Leben ist mir geweiht, Achmud Haddur!«
    »Nein!« schrie der Leutnant entsetzt auf.
    »Doch!« kam die Donnerstimme des Hexenweibs zurück. »Sein Leben für mich, wie dein Leben meiner Schwester Clea geweiht ist. Keiner vom Geschlecht der Haddur wird uns entkommen.«
    »Aber warum nur? Aus welchem Grund?« fragte der Leutnant mit schlotternden Knien.
    »Wir sind gekommen nach dreihundert Jahren, wie wir es gelobt haben. Wir werden uns rächen für die Schandtaten eurer Väter. Für die Schandtaten des Sultans Kamal Haddur, die er an unseren jungen Leibern begangen hat.«
    »Nein!« rief Achmud in Todesangst und rang verzweifelt die Hände. »Nimm dir mein Geld, nimm dir mein Haus, aber gib mir meinen Sohn zurück.«
    Ein Hohngelächter der Hexe war die ganze Antwort.
    Achmud Haddur konnte nicht verhindern, daß die Hände des Scheusals erneut nach seinem Sohn griffen. Leicht wie eine Feder hob sie ihn auf die Schulter. Dann ging sie davon. Ihre Füße berührten kaum den Boden. Sie schwebte mehr als sie ging.
    Da kam noch einmal der Schrei des jungen Achmud. Er rief nach seinem Vater. Rief um Leben und Hilfe und Freiheit.
    Der Polizeileutnant sah, wie das Weib mit seinem Opfer hinter einer Gruppe von triefend nassen Zedernbäumen verschwand. Er eilte ihr nach und sah nur noch den wallenden weißen Mantel schemenhaft ins Dunkel des frühen Abends tauchen.
    »Achmud!« stieß der Leutnant hervor. Zweimal, dreimal. Er bekam keine Antwort mehr. Als er die Erscheinung weiterverfolgen wollte, spürte er einen mächtigen Schlag im Rücken.
    Mit dem Gesicht zur Erde stürzte er hin. Für mehr als eine Stunde blieb er bewußtlos liegen.
    Die Hexe überquerte den Weg vor dem Friedhof und verschwand im Nichts. Niemand sah sie kommen und gehen. Noch wagte sich keiner aus seinen schützenden vier Wänden. Stundenlang hielt das Unwetter noch an. Der prasselnde Regen verwischte die Spuren der Hexe.
    Zur selben Minute saßen Professor Zamorra und Nicole Duval im D-Zug nach Paris. Zamorra erklärte seiner Sekretärin gerade, was eine blutgierige Lamia ist.
    ***
    Als der Leutnant im Büro der Polizeipräfektur erschien, sprangen seine Kollegen und Untergebenen von den Sitzen auf. Achmud Haddur war weiß wie die Wand. Tödliches Entsetzen stand in seinem Gesicht geschrieben.
    Kraftlos ließ er sich auf einen Stuhl nieder.
    »Was ist geschehen?« fragte einer der Beamten. »Ein Mord etwa?«
    Der Leutnant schüttelte den Kopf.
    »Schlimmer«, sagte er. »Schlimmer als ein Mord. Ich habe das Grab meines Sohnes besuchen wollen…«
    Die Erinnerung an das grauenhafte Geschehen ließ ihn verstummen. Zu sehr hatte das schreckliche Ereignis ihn mitgenommen. Seine Nerven waren bis aufs äußerste mitgenommen. Er sah noch die gähnende Leere des Grabes vor sich.
    Er sah die Leiche des jungen Achmud. Eine Leiche, die lebte!
    Die Sinne des Leutnants drohten zu versagen. Würden die Kollegen ihm glauben? Würden sie ihm seine Geschichte abnehmen?
    Oder würden sie, was nahelag, ihn für verrückt halten?
    Ein erwachsener Mann, der von blutgierigen Hexen erzählte? Was sollten sie davon halten?
    Aber es mußte sein. In seiner Eigenschaft als Polizist war er ja sogar verpflichtet, einen Bericht zu schreiben. Also konnte er die Geschichte auch den Kollegen mitteilen.
    Mit fliegendem Atem begann er seine Erzählung.
    »Das Grab
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