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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen
Autoren: E Greiff
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Zuerst den dritten, den Mittelfinger. Der muss ganz weg, runter bis auf das Grundgelenk. Beim vierten hoffte ich erst, ich könnte das mittlere Gelenk behalten, aberdas Risiko ist zu groß. Lomsted, unser Arzt in Goradt, hat immer gesagt: Mutig schneiden, Brand vermeiden.«
    Babu rang sich ein Lächeln ab und Felt fuhr fort: »Also bleibt hier ein Stumpf. Das ist zwar mehr Aufwand, aber ich denke, es lohnt sich. Ich werde den Knochen unterhalb des zweiten Gelenks durchschneiden. Wenn ich Glück habe, gelingt das beim ersten Versuch. Ich rechne nicht damit, der Knochen wird splittern. Der Dolch ist zwar scharf, aber heute wünschte ich, er wäre eine Schere. Nun, es lässt sich nicht ändern. Deine Hilfe, Babu, brauche ich bei den Sehnen. Du wirst wissen, wie stark sie sind. Wir müssen sie kürzen, sonst wird das nie ein guter Stumpf. Wenn ich sie also durch habe, wirst du daran ziehen und ich werde nochmals schneiden. Oder du. Andersrum müssen wir es mit der Haut machen, dem Fleisch. Das musst du zurückhalten, während ich den Knochen kürze, damit ein Überstand bleibt. Noch Fragen?«
    Babu schüttelte den Kopf und auch Reva schwieg. Sie standen rechts und links der niedrigen Steinsäule, auf der Felts Hand lag wie ein Opfertier.
    Er hob sie an, die schwarz verkrusteten Finger wie verkohltes Holz, und Reva nahm sie zwischen ihre schmalen, hellen Hände. Und obwohl Babu wusste, dass sie ihm nur die Hand kühlte, damit der Schmerz gedämpft und das Blut zurückgehalten wurde, erkannte er mehr in der sanften Berührung. Es war eine Huldigung an das Leid und an den, der bereit war, es zu ertragen.
    Reva löste sich von Felt und entfernte sich ein paar Schritte. Felt legte sich mit der Linken die Finger auf der Steinsäule zurecht, spreizte den Zeigefinger von seinem toten Nachbarn ab, so weit es ging. Lehnte sich etwas zurück, atmete ein paar Mal tief ein und aus, den Blick konzentriert ins Nichts.
    Griff den Knebel.
    Klemmte ihn ein.
    Nahm den Dolch, setzte die Spitze auf.
    Hielt die Luft an.
    Schnitt, Haut und Sehne.
    Stöhnte die Luft aus.
    Ließ den Dolch fallen, packte den Finger, beide Hände vor der Brust, atmete wieder ein. Und dann zog und drehte er mit aller Kraft, es knackte, als die Kapsel riss, ein tiefer, grollender Ton unter dem Knebel, der Finger hatte sich aus dem Gelenk gelöst.
    Viel schwarzes Gewebe in der linken Handfläche, viel weißer Knochen auf dem Tisch. Immer noch verbunden mit der Hand. Die obere Sehne hatte Felt mit seinem ersten Schnitt durchtrennt, aber die untere, die starke Beugesehne zur Handfläche, hielt den Fingerrest fest. Babu griff danach und zog. Felt lehnte sich zurück, Augen weit auf, knurrend wie ein Tier   – und Babu durchtrennte die gespannte Sehne mit einem Schnitt.
    Wenig Blut. Felt hielt sein Handgelenk umklammert, die Augen jetzt geschlossen, den Kopf im Nacken. Sein Stiefel trat den Steinboden im Takt, in dem der Schmerz durch seinen Körper pulste. Babu nahm ihm den Knebel ab, spürte den kühlen Luftzug, der sanft über Felts blutleeres Gesicht strich. Den halb skelettierten Finger legte er beiseite, er würde eine gute Knochennadel machen, davon verstand Babu etwas, auch vom Nähen, aber das hatte noch Zeit. Felt hatte den schwierigeren Teil noch vor sich. Er schlug die Augen wieder auf.
     
    Felt arbeitete schnell und mit einem solchen Ingrimm gegen sich selbst, dass Babu der Mund trocken wurde. Er war rechts neben den Verletzten getreten und stemmte sich auf Felts Handgelenk, während der versuchte, den Knochen des Ringfingers zu durchtrennen. Der splitterte wie ein abgenagterGelbhuhnschenkel   – Babu hatte sie regelmäßig durchgebrochen, aus Spaß, es war erstaunlich schwer gewesen.
    Felt hatte große Hände und starke Knochen, er brauchte drei Versuche. Er schrie ohne Unterlass, der Knebel war längst durchgeweicht, der Speichel rann ihm übers Kinn, aber er hörte nicht auf, bis der Knochen kurz genug und das Ende einigermaßen glatt war. Babu versuchte die Sehnen zu greifen, aber der Stumpf blutete stark, er bekam sie nicht zu fassen. Felt spuckte den Knebel aus, brüllte Babu an, beschimpfte ihn. Endlich ging Reva dazwischen.
    »Felt? Felt! Hör auf zu schreien und schau mich an.«
    Er tat es.
    »Sehr schön, so ist es gut. Du hast es fast geschafft. Leg deine Hand hierher.«
    Reva wischte über den Stein, Felt legte die blutende Hand ab. Sein Atem ging flach und schnell, Tränen liefen ihm über die hohlen Wangen. Sie wurden getrocknet.
    Reva
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