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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen
Autoren: E Greiff
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Welsenheer aus dem Wald herauswüchse. Aber nein, sie schlagen die Bäume! Sie bauen Boote und Flöße! Sie wollen übersetzen!
    Bald ist nichts mehr zwischen uns und der Vernichtung. Nur das Wasser gibt uns Aufschub. Der große Strom, der Eldron, unser aller Vater und Ernährer, ist dieser Tage unser Beschützer. Nicht mehr lange, und der Kriegstreiber, der grausamste aller Herrscher dieser Welt, König Farsten von Wandt, wird ihn überwunden haben.
     
    Der Mann zupfte an seinem dünnen Bart, er hatte diese Passage schon so oft gelesen, dass er sie auswendig kannte. Dennoch, und obwohl der damalige Chronist nicht gerade ein begnadeter Schreiber gewesen war, las er sie immer wieder. Heute erschien sie ihm besonders düster, ohne dass er den Grund dafür fand. Heute halfen die zittrigen Zeilen nicht gegen das Unwohlsein, sie machten ihn nur noch nervöser. Er bemühte sich, sein Herz zu beruhigen, das wie ein abgehetzter Bote mit einer fast unverschämten Dringlichkeit gegen seinen Brustkorb klopfte. Welche Nachricht wollte es ihm überbringen? Der Mann versuchte zwischen den Zeilen zu lesen, aber da war nichts außer nackter Angst. Pram, die
freie, schöne Heimatstadt
, stand jedoch noch, sie war der Vernichtung entkommen und war heute sogar schöner, größer und freier als damals. Der Mann war hindurchgelaufen, gerade eben erst. Er wusste es, das Unmögliche war damals gelungen; und er wusste auch, wie, denn er hatte es gelesen.
    Aber die Unruhe, die sich in seinen Körper und in sein Denken gepflanzt hatte und daran emporkroch wie ein schnell wachsender Efeu, verdrängte die Gewissheit. Er war nicht mehr sicher, dass das, was geschrieben stand, die ganze Wahrheit war, und das erschütterte ihn, denn er kannte kein anderes Mittel gegen Ungewissheit als das Lesen. Er griff sich ein weiteres Buch, eine Abschrift aus dem Fürstenkodex, und schlug die berühmte Rede Palmons nach.
     
    Bürger von Pram, seht her: Die Welt ist zu uns gekommen. Denn hier und heute, in dieser Nacht, in Pram, entscheidet sich das Schicksal der freien Völker des Kontinents. Und seht: Hier stehen wir und wir stehen zusammen! Wir sind im Recht. Wir verteidigen unsere Freiheit.
    Wer diese Stadt, wer dieses Volk von Pram preisgeben würde, der
würde eine ganze Welt preisgeben. Deshalb ist die Welt nach Pram gekommen.
    Deshalb sind sie hier, die Führer der Kwother mit ihren Soldaten, der König der Steppenläufer mit seinen Spähern, sogar die Seguren haben ihre Besten gesandt, Asing ist hier, neben mir, um uns zu beraten. Wir stehen zusammen in einer Allianz, einer Front, dem Feind entgegen.
    Pram ist eine Festung   – ohne Mauern. Pram ist ein Bollwerk   – für die Freiheit.
    Pram ist der Vorposten der Menschlichkeit, den niemand ungestraft preisgeben kann und darf und will.
    Wir gehen nicht zurück. Wir lassen uns nicht in die Finsternis stürzen. Wir unterwerfen uns nicht der Gier, dem Machthunger, dem Wahnsinn eines Mannes, der nichts kennt als den Krieg. Ich rufe dir zu: Sieh dich vor, Farsten, schwarzer Soldatenkönig, grausamer Kriegsfürst! Denn über uns wirst du stolpern! An Pram wirst du scheitern. Hier wirst du fallen!
    Bürger von Pram! Das Auge der Welt ist heute auf euch gerichtet! Was wird es sehen? Weinende Kinder? Geschändete Frauen? Verstümmelte Männer? Geplünderte Häuser? Tod und Leid, Versklavung und Unterwerfung, die vollkommene Vernichtung all dessen, was wir lieben?
    Ich sage euch, was ich sehe: Ich sehe Tränen. Tränen der Freude. Ich höre Schreie. Schreie, die unseren Sieg jubelnd in die Lüfte tragen. Ich sehe das Licht eines neuen Tages auf euren Gesichtern leuchten. Ich sehe eine Stadt, die unberührt vom Grauen des Kriegs einer Zukunft entgegengeht, die noch heller strahlt in der Nachbarschaft der totalen Zerstörung. Der totalen Zerstörung von Machthunger und Wahnsinn. Der totalen Zerstörung eines Kriegstreibers, der unser Volk ohne Not angreift und sein eigenes ins Verderben stürzt:
    Farsten wird fallen. Farsten wird brennen.
    Und mit ihm ganz Welsien!
     
    Eine gute Rede, eine Rede, die Mut machte am Vorabend der großen Schlacht, die verloren schien, es aber nicht gewesen war. Eine prophetische Rede. Denn die Allianz, das glorreiche Westliche Bündnis, hatte nicht nur das übermächtige Welsenheer vernichtet, sondern ganz Welsien   – genau so, wie Fürst Palmon es den Bürgern des freien, schönen Pram versprochen hatte. Ein gewaltiger Feuersturm war über das weite Land der Welsen gefegt,
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