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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen
Autoren: E Greiff
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tippte, ohne hinzusehen, mit der Fingerspitze auf den Stumpf, in Felts Gesicht zuckte es. Sie lächelte ihn an. Dann schaute sie an ihm vorbei und sagte mit kalter Stimme: »Und du machst dich endlich nützlich, Laszkalis. Hör auf, ihm um den Kopf zu streichen, und trockne das Blut.«
    Revas Berührung hatte die Blutung fast vollkommen gestillt und nun blies ein kräftiger Luftstrom auf den Stumpf, in das Loch, das der Mittelfinger hinterlassen hatte, und in die Blutlache auf dem Stein, teilte sie zu Rinnsalen, die die Säule hinabliefen. Endlich konnte Babu die grauweißen Enden der Sehnen erkennen.
    »Bereit?«
    Felt gab ein Grunzen von sich, das Babu für ein Ja nahm. Er schob schnell das Fleisch über dem Stumpf ein wenig zurück, griff sich eine Sehne, mit Zeigefinger und Daumen. Hielt siefest mit den Fingernägeln. Als Felt wieder aufbrüllte und die Hand reflexartig zurückzog, schnitt er.
    Felt fluchte. Umklammerte wieder sein Handgelenk. Schlug mit der Linken seine geschundene Hand auf den Stein, wieder und wieder, heulte vor Schmerz und vor Wut auf den Schmerz.
    Babu sah die Qual in Felts farblosen Augen und im Schwarz der geweiteten Pupillen sah er kurz sich selbst. Schreiend im Schnee, zwischen den Schenkeln den gespaltenen Schädel eines großen Wolfs.
    Felt zog den Rotz in der Nase hoch, sagte rau: »Bringen wir’s endlich hinter uns.«
     
    Ein Luftzug umkreiste die Säule, zog leise singend eine Spur in Felts Blut und verteilte es auf dem Steinboden ringsum. Die unsichtbare Präsenz schreckte Babu nicht mehr. Er löste sorgfältig die brandigen Fleischreste vom Fingerknochen, damit er eine Nadel schnitzen konnte. Felt war zurückgesunken auf den steinernen Sockel und schien selbst aus Stein zu sein. Er rührte sich nicht, er gab keinen Ton mehr von sich. Bruder im Schmerz.
    Seiner würde irgendwann vergehen, Babus jedoch blieb. Sein Schmerz war der Wille des Falken, mit dem er das Band zwischen ihnen in Babu verankert hatte. Babu hatte lange Tage in den Himmel geschaut und seine Seele wie ein Tuch an dieses Band geknotet, sie zu Juhut aufsteigen lassen. Er war mit ihm über der Stadt gekreist und hatte weit schauen können, weiter denn je. Aber es gab nicht viel zu sehen, der Berst war leer.
     
    Dann war die Leere in ihn eingesunken und hatte alles andere verdrängt: die Rachlust, die Schuldgefühle, die Verliebtheit   – alles war verschwunden, über den Rand seines Bewusstseins gefallen wie über eine Klippe. Es war anders als im Schnee desGebirges, als das gleißend helle Nichts jeden Gedanken, auch den an ihn selbst, überblendet hatte. Babu wusste noch genau, was alles geschehen war, er erinnerte sich an jede Kleinigkeit, an Jator, wie er die Hühner über dem Feuer drehte, wie er lachte und sich dabei Bier auf die Hose schüttete. An Dant, den Gerber, wie er mit ledrigen Fingern die raue Schale des Eis berührte. Er erinnerte sich an das Entenpaar auf der träge dahinfließenden Merz, das kurze Beben, das die Tiere aufgescheucht hatte. Er erinnerte sich an Kanks gelbe, glasige Augen, an Kolra, der ihn angespuckt hatte, an die Nacht, an den Regen, an sein Pony, das in die Luft trat, während ihm das Blut aus dem Hals floss. Babu sah Nurus hellbraune Augen und ihre Brauen wie kleine, gespannte Bögen darüber   – aber all das bedeutete ihm nichts mehr. All seine Gefühle waren aus ihm herausgefallen. Indem er sich von allen Wünschen, Zielen, Enttäuschungen gelöst und sich ganz dem Willen der Szasla unterworfen hatte, war er endlich doch frei geworden.
    Ihm war, als ob ihn ein kühler Wind durchwehte. Es war angenehm, denn Babu wusste: Dieser Wind, selbst wenn er zu einem Sturm anschwoll, würde nichts mehr finden, an dem er rütteln konnte.

 
    NEUNTES KAPITEL
ZURÜCK ZUM ANFANG
     
    »Hast du die Tage gezählt?«
    Babu schüttelte den Kopf. Sie saßen bei der Quelle und sahen über den Platz und auf das hohe Gebäude, in dem die Szaslas schliefen. Die löchrige Kuppel glühte rot im Licht der nur zögerlich sinkenden Sonne. Reva wanderte in einiger Entfernung auf und ab, mit gesenktem Kopf, die Kapuze tief hinabgezogen.
    Felt versuchte im Gesicht des jungen Merzers zu lesen, aber das ging nicht mehr. Als sie sich begegnet waren, am Morgen nach dem Massaker, als sie die beiden Reiter getroffen hatten und auch hinter dem mächtigen Steinbogen, durch den der Atem des Bersts in den Kontinent blies, war Babus Gesicht ein Spiegel seiner Seele gewesen   – jede Regung hatte Felt darauf
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