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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel
Autoren: Baum Vicki
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hustend.
    »Natürlich. Immer mit dem Kind mang die Grippe in aller Herrgottsfrühe«, sagte Lungaus, ehrlich erbittert, denn alle Liebe seines vertrockneten Lebens hatte sich auf das fünfjährige Rehle konzentriert.
    »Sie wissen ja, das ist so seine Idee –«, sagte Elisabeth, und dabei hatte sie ein stechendes Gefühl an der Nasenwurzel, als kämen gleich Tränen.
    »Ja, das ist die Idee«, wiederholte Lungaus und angelte Kolas Pantoffeln herbei. »Ich sage ja: Lieber an die Anatomie verkaufen, da ist man doch tot und spürt's nicht. Aber das Versuchskarnikel sein bei lebendigem Leib – da kann eins ja –«
    »Na, Ihnen geschieht doch wahrhaftig nichts. Sie hat er doch gesund gemacht«, sagte Elisabeth, während er schon zur Küchentür schlappte und dort stehenblieb. »Was krieg ich um neun?« fragte er gereizt.
    »Bananenmus. Sowie das Feuer brennt, mach ich's zurecht«, sagte Elisabeth. »Sie haben es auch nicht leicht«, beschloß Lungaus und verschwand. Elisabeth blieb vor dem Herdloch zurück, war aber zu eigensinnig, um zu weinen. Sie brauchte beinahe zehn Minuten, um sich durchzubeißen, aber dann wurde sie vergnügt. Daß dieses Pantoffelgespenst, dieses Hauskreuz Lungaus, dieser Leidenskelch in ihrer Ehe auch noch Mitleid mit ihr hatte, war eine durch und durch komische Angelegenheit. Als sie das Bananenmus anrührte, konnte sie bereits darüber lachen.
    Sie bewachte das Feuer, wusch das Frühstücksgeschirr, schälte Mohrrüben für Lungaus' Mittagessen – denn Lungaus bekam eine ausgetüftelte Diät und lebte von Extrakten aller Naturprodukte – sie rieb ihre braun gewordenen Finger mit Bimsstein, zankte ein wenig mit dem kleinen Tagesmädchen, das zu spät daherkam wie immer. Es gehörte auch zu Elisabeths Kümmernissen, daß Lungaus die Bodenkammer bewohnte, daß man keinen Platz für ein richtiges Dienstmädchen hatte – und so recht besehen auch kein Geld – und daß man von den verschiedenen ›Aufwartungen‹, die mal fünfzehn Jahre alt waren und mal achtundsechzig, häufig im Stich gelassen wurde.
    Sie ging ins Ordinationszimmer zu ebener Erde und begann dort Ordnung zu machen. Sie zählte die abgerauchten Zigarrenenden, seufzte ein bißchen und lachte dann, denn Doktor Persenthein war zwar ein wütender Gegner des Nikotins, aber ein leidenschaftlicher Raucher. Sie ging ans Telefon, nahm die Morgentemperatur von Fabrikbesitzer Profets zweitem Jungen zur Kenntnis – 38,2 – und trug sie in den Block ein. Sie zündete die Spiritusflamme unter dem Sterilisator an, legte Wäsche und einen frischen Kittel für Kola heraus und rieb den Operationsstuhl blank, während Spekula, Klemmen und Trichter kochten. Sie blieb fünf Minuten an der Medizinischen Wochenschrift hängen und blätterte in dem aufgeschlagenen Artikel über ›Sepsis-Prophylaxe bei Verletzungen der Landarbeiter‹ mit dem gierigen und leidendsuchenden Ausdruckten andere Frauen für ihre Rivalinnen haben. ›Sepsisprophylaxe‹! Das kostete nun Kolas Schlaf und Nächte. Das Haus bebte, Mörtel rann herab. Das Neun-Uhr-Bahn-Auto kam von der Station zurück. Elisabeth quälte sich mit dem Bananenmus die Treppe hinauf in Lungaus' Bodenkammer. »Die Bananen wachsen mir schonst zum Halse raus, Mutter«, bemerkte Lungaus, der auf dem Bett lag und das Fenster geschlossen hatte. »Los, raus, Spazierengehen!« sagte sie nur. »Daß der Doktor Sie nicht faulenzend findet, wenn er heimkommt.«
    »Bei dieses Wetter«, entgegnete Lungaus voll Vorwurf. Elisabeth blickte durch das schräge Bodenfenster hinaus, es ging nicht nach der Stadtseite, sondern nach der Vorstadt Obanger. Eine Eberesche, die da hinten aus der Stadtmauer wuchs, stand krumm im Wind. Der Himmel hing voll zerrissener Wolken, ein heftiger Regen war vorbei, und neuer Wasserdunst sammelte sich in einer dunkelgrauen Wand, die über den Rußfahnen der Fabrik in der Ebene stand. Und Kola draußen, mit Rehle auf dem Soziussitz –
    Das Telefon klingelte in der Diele, lang, lang, lang: Ferngespräch. Elisabeth nahm zur Kenntnis, was ihr mitgeteilt wurde. Nachher stand sie einen Augenblick vor der Muschel und biß auf das Gelenk ihres rechten Zeigefingers – das tat sie immer, wenn etwas Schlimmes kam. Sie ging ins Ordinationszimmer und trug die Nachricht ein:
    Telefonanruf des Krankenhauses Schaffenburg. Doktor Schroeder läßt mitteilen, daß dem Knecht Jakob Wirz der linke Arm abgesetzt werden mußte, handbreit unterhalb des Schultergelenks.
    Sie überlegte einen
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