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Zwischen zwei Nächten

Zwischen zwei Nächten

Titel: Zwischen zwei Nächten
Autoren: Edith Kneifl
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hat. Sie ist nicht mehr in der Lage, zwischen Phantasie und Realität zu unterscheiden.
    Angespannt, ja beinahe lauernd, beobachtete ich sie. Es war als ob ihre Berührungen gar nicht mir gelten würden. Ich fand sie an jenem Abend noch viel schöner als in ihrer Jugend. Ich mochte ihr glattes frisches Gesicht weniger als diese vom Alter gezeichneten Züge. Ihre Augen wirkten größer, ihr Blick war wissender und ihr Mund trauriger. Ich liebte ihre Traurigkeit als wäre sie meine eigene und bedeckte ihr Gesicht mit zarten Küssen. Sie hielt mich umfangen und flüsterte mir Koseworte ins Ohr. Ich löste den festen Knoten in ihrem Nacken und vergrub mein Gesicht in ihrem wunderschönen, graublonden Haar, das ihr fast bis zur Taille reichte. Langsam und ungeschickt begann ich sie auszuziehen. Sie versuchte mir zu helfen, doch unsere Hände waren einander im Weg. Sie ließ mich gewähren.
    Ihre Haut war von wundervoller Zartheit, ihr Körper kräftig und muskulös. Ich atmete den Duft ihrer Haut, ein Gemisch aus Schweiß, Sonnenöl und Parfüm, unter dem sich der unverwechselbare, weiche und warme Geruch blonder Frauen verbarg. Ich war süchtig nach diesem Geruch.
    Sie beugte sich über mich, brachte ihr Gesicht ganz nahe an meines und sagte leise, daß sie mich liebe, schon immer geliebt hätte, sagte es immer wieder.
    Tränen der Verzweiflung, der Wut. Sie will nicht weinen, nicht jetzt vor ihm. Seine mitfühlenden Worte bringen sie noch mehr in Rage.
    „Zeig mir die Stelle, wo es passiert ist“, verlangt sie mit gepreßter Stimme, nur um dieses Zimmer, in dem sie vor zwei Monaten so glückliche Stunden verbracht hat, verlassen zu können.
    Sie gehen hinaus auf die Terrasse. Eine sternenklare Nacht, es hat zu regnen aufgehört.
    Morgen wird es schön sein, ideales Flugwetter.
    Alfred führt sie zu der Stelle, von der sich Anna, laut Aussage der Polizei, hinuntergestürzt hat.
    „Und wo ist sie gelegen?“
    Sie beugt sich weit über das niedrige Geländer und starrt in ein finsteres Loch. Aber ihre Augen gewöhnen sich rasch an die Dunkelheit.
    Vage deutet er mit der Hand in Richtung Müllcontainer.
    Ann-Marie kann nicht aufhören zu weinen. Sie hat zuviel getrunken, ihr ist schlecht und sie fürchtet, sich noch einmal übergeben zu müssen.
    „Wo genau?“ schreit sie.
    Vor ihren Augen droht plötzlich alles zu verschwimmen.
    Blauer Dunst nebelte uns ein. Wir rauchten die Zigarette zusammen.
    Sie sprach zärtlich, nahe an meinem Mund, sprach von der Liebe, von dieser Nacht, die nie enden sollte, und von dem Morgen, das in zwei Monaten beginnen würde.
    Auch ich sprach ganz leise zu ihr. Sie schaute tief in meine Augen, wenn ich redete, als würde sie meine Worte in ihnen lesen können. Ihre Küsse brachten mich zum Weinen. Sie sagte, daß sie nie aufhören würde, mich zu lieben, daß sie mich lieben würde bis zu ihrem Tod.
    Angst und Schrecken vermischen sich mit ungläubigem Staunen. Ein kräftiger Stoß, ein kaum hörbarer Schrei. Ein Körper stürzt in die Tiefe und schlägt Sekunden später auf dem Kopfsteinpflaster des Hinterhofs auf.
    Bis in den Tod vereint.
    Abflughalle des Flughafens Wien-Schwechat. Letzter Aufruf für den TWA-Flug 875 nach New York mit Zwischenlandung in Frankfurt.
    „Die Passagiere werden gebeten, sich zum Ausgang B 32 zu begeben.“
    Ann-Marie hat die Paßkontrolle längst hinter sich. Sie wartet schon seit den frühen Morgenstunden am Flugsteig B 32.
     
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