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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition)
Autoren: Kristin Hannah
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keine Szene.«
    »Ich war nie der Typ, der eine Szene macht«, widersprach Jolene mit verdächtig schimmernden Augen.
    »Das Leben verändert uns. Das ist gewiss.«
    Jolene starrte ihn noch einen Augenblick an. Sie fand, dass er wie die Männer und Frauen in ihrer Einheit war. Nur die Aufgabe zählte, nicht der Lohn. Dann nickte sie ein letztes Mal, drückte nur mit dem Blick ihren Dank aus, nahm Michaels Hand und ging hinaus.
    Strömender Regen empfing sie, der vom Boden hochspritzte. Jolene staunte über sich selbst, als sie den Kopf einzog und mit Michael an der Hand zum Wagen rannte.
    Rannte.
    Natürlich war es nicht perfekt, weil ihr Bein sich nicht so beugte, wie es sollte, doch sie schaffte es. Als sie im Wagen saßen, war sie tropfnass.
    »Sie sind ziemlich sexy mit Ihrem neuen Bein gerannt, Mrs Zarkades.«
    »Ich verspreche dir, dass bald alle so eins haben wollen.«
    Sie musste ständig ihr neues Bein anstarren; immer wieder lüpfte sie ihre Hose und begutachtete es. Und sie konnte nicht aufhören zu lächeln.
    Michael hielt am Briefkasten, holte die Post und fuhr dann die Einfahrt hinauf. Als sie in der Garage geparkt hatten, drehte Jolene sich zu ihm. »Bist du zum Abendessen zu Hause?«
    Er gab ihr die Post. »Viel früher. Sobald ich Byers Zeugenaussage habe, komme ich nach Hause. Wie wär’s denn, wenn wir in diesem Restaurant am Hafen essen gingen?«
    »Ja, toll.« Sie küsste ihn, dann stieg sie aus dem Wagen und hüpfte praktisch ins Haus.
    Drinnen war alles still. Jolene kochte sich einen heißen Tee und sah die Post durch.
    Es war ein weiterer Brief von Sarah Merrin dabei, der jungen Marine, die ebenfalls ihr Bein im Irak verloren hatte.
    Jolene setzte sich an den Küchentisch und öffnete ihn.
    Chief,
    ich verstehe, warum Sie mir nicht zurückgeschrieben haben. Wahrscheinlich fühlen Sie sich genauso mies wie ich. Ich hoffe nur, es gibt irgendwo da draußen einen Silberstreifen am Horizont. Ha!
    Noch immer liege ich im Walter Reed Hospital. Ich bin schon so lange hier, dass ich darüber nachdenke, die Wände zu streichen. Mein zweites Bein musste auch amputiert werden. Es hatte sich infiziert.
    Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, warum ich Ihnen das alles schreibe.
    Wie schaffen Sie es? Das ist es wohl, was mich wirklich interessiert. Man hat mir gesagt, ich würde wieder gehen können – und sogar Schlittschuh laufen –, aber ich glaube, das ist eine Scheißlüge. Und mein Mann konnte sich gar nicht schnell genug aus dem Staub machen!
    Noch einmal: ein paar kluge Worte von Ihnen würden mir helfen.
    Hochachtungsvoll
    Sarah Merrin
    Eine ganze Weile saß Jolene einfach nur da und starrte auf den Brief.
    An einem kalten, regnerischen Tag im Dezember stiegen Jolene und Michael in ein Flugzeug nach Washington D. C. und nahmen ihre Plätze in der dritten Reihe ein.
    Michael lehnte sich in seinem bequemen blauen Ledersitz zurück und schnallte sich an.
    Jolene saß von ihm abgewandt und beobachtete aus dem kleinen, ovalen Fenster, wie das Bodenpersonal seiner Arbeit nachging. An ihren zusammengepressten Lippen sah er, dass sie gerade ihrem alten Leben nachtrauerte: der Armee, dem Fliegen, der Frau, die sie vor dem Krieg gewesen war.
    Er griff nach ihrer Hand. In letzter Zeit war sie nur noch selten traurig, aber wenn Melancholie sie überkam, wehrte sie sich nicht mehr dagegen, sondern ließ sie zu. Die Armbanduhr, die er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, umspannte ihr schmales Handgelenk; das Zifferblatt mit dem Facettenschliff glitzerte im Licht und bildete einen seltsamen Kontrast zu ihrem schlichten goldenen Ehering. Als er dies zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er sich geschämt und ihr angeboten, sie umzutauschen. Ich hätte sie nicht kaufen sollen, sie passt nicht zu dir. Aber damals war ich noch anders. Und ich hätte mit dir zu dieser verdammten Party gehen sollen.
    Schnee von gestern, hatte sie lächelnd geantwortet. Wir haben uns beide verändert – Gott sei Dank!
    Das stimmte. Im vergangenen Jahr hatten sie sich alle verändert.
    Besonders Jolene. In den letzten Wochen hatte sie – wie sie alle – gelernt, Traurigkeit nicht zu überspielen. Jetzt drückte sie Michaels Hand.
    Dröhnend erwachten die Motoren des Flugzeugs zum Leben und ließen ihre Sitze leicht vibrieren. Jolene erinnerte sich wahrscheinlich daran, wie es war, auf den Pilotensitz zu steigen, den Helm aufzusetzen und den Routinecheck vor dem Abflug durchzugehen.
    Das Flugzeug setzte zurück und rollte zur Startbahn.
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