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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition)
Autoren: Kristin Hannah
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Dann nahm es Fahrt auf, schoss immer schneller vorwärts, hob die Nase und stieg … stieg hoch hinauf in die Luft.
    Der blaue Himmel schob sich vor ihre Fenster.
    »Hab ich dir je von den Pflaumenbäumen erzählt?«, fragte sie leise. »Die haben wir früher immer gesehen, wenn wir vom Stützpunkt aus starteten. Wenn man nach unten blickte, sah man die rosafarbenen Blütenwolken vor dem Blau des Himmels. Das war so schön!«
    Ihm stockte der Atem, weil sie es so leichthin sagte, so gelassen klang. Nach kurzem Zögern sagte er: »Ich möchte mit den Mädchen zu Dads Grab.«
    Sie sah ihn an. »Du warst seit der Beerdigung nicht mehr da.«
    »Ich bin wohl nicht der Einzige in der Familie, der Probleme mit dem Loslassen hat.«
    »Das stimmt«, seufzte sie. »Ich habe Tamis Brief immer noch nicht gelesen.«
    »Ich weiß.« Sie lehnte sich an ihn.
    »Übrigens hab ich letzte Woche mit Ben Lomand geredet.«
    Sie drehte sich zu ihm. »Wirklich?«
    »Die Neuigkeit wollte ich mir eigentlich für Weihnachten aufsparen, aber da wir nun schon in der Luft sind, wo du hingehörst … ich habe ihm also erzählt, dass du wieder fliegen wolltest. Er sah keinen Grund, warum du es mit deinem neuen schicken Bein nicht versuchen solltest. Er sagte etwas von einem kleineren Helikopter – nannte einen Haufen technischer Begriffe und Zahlen, ich verstand kein Wort davon. Aber er ist gewillt, es mit dir zu versuchen. Wenn du so weit bist. Vielleicht könntest du irgendwann den Helikopter für die Nachrichten fliegen. Wer weiß?«
    »Ja, wer weiß?«, sagte sie lächelnd. »Ich liebe dich, Michael Zarkades.«
    Theoretisch war Jolene schon klar gewesen, dass Washington D. C. eine Stadt der Denkmäler war. Sie hatte von verschiedenen Monumenten gelesen, die der amerikanischen Vergangenheit gewidmet waren, aber erst als sie selbst durch die Straßen der Stadt lief, begriff sie, dass sie alle miteinander verbunden waren und eine Geschichte erzählten. Wohin sie auch blickte – auf winzige Schilder auf dem schneebedeckten Boden, auf Plaketten auf Parkbänken, auf weiße Marmorstatuen –, sah sie eine Erinnerung, ein Mahnmal. Die Größe der Bauwerke überraschte sie ebenfalls. Sie hatte sich vorgestellt, Washington wäre genau wie New York eine Stadt der Wolkenkratzer. Aber hier fühlte sie sich unerwarteterweise geerdet, denn es gab keine Hochhäuser und keine Betonschluchten, vor denen Fußgänger sich winzig und unbedeutend fühlten.
    New York zeigte seine Größe und zielte darauf ab, dass die Touristen angesichts menschlicher Leistungen in Ehrfurcht erstarrten. Washington hingegen wusste, dass die Größe des Menschen nicht an Stein und Stahl abzulesen war, sondern viel eher an Ideen und Entscheidungen.
    »Bist du bereit?«, fragte Michael.
    Sie wandte sich von dem Fenster des Hotels ab, das auf eine ruhige, schneebedeckte Straße blickte.
    Hinter Michael hing über einer eleganten, auf antik getrimmten französischen Kommode ein goldgerahmter Spiegel, in dem Jolene sich von der Taille aufwärts sehen konnte.
    Sie war wieder eine Soldatin – wenn auch nur vorübergehend – und trug ihre Ausgehuniform, hatte die Haare zurückgesteckt und sorgfältig ein schwarzes Barett auf ihrer Frisur platziert. Rangabzeichen und Orden schmückten ihre Brust und erinnerten daran, wer sie früher gewesen war. Dies war wahrscheinlich ihre letzte Gelegenheit, die Uniform zu tragen. Denn sie stand kurz davor, aus medizinischen Gründen ihren Abschied zu nehmen. Schon bald würde diese Uniform neben ihrem Hochzeitskleid im Schrank hängen wie eine in Plastik verpackte Erinnerung.
    Dieser Abschnitt ihres Lebens war abgeschlossen. Die Zukunft lag ungewiss, aber voller Möglichkeiten vor ihr.
    »Jo?«
    Sie lächelte. »Mir geht’s gut, Michael. Es fühlt sich nur komisch an.« Sie schlüpfte in den Mantel, den er ihr hinhielt.
    Auf dem Weg zur Constitution Avenue hielt sie seine Hand. Die ganze Stadt war grau und weiß, mit wenigen schwarzen Strichen, wie ein melancholisches Chiaroscuro. Während sie durch die Constitution Gardens gingen, glitzerte Schnee auf Bäumen und Bänken.
    Als sie an einem letzten nackten Baum vorbeischlenderten, ragte die Wand vor ihnen auf. Selbst an diesem kalten, verschneiten Tag wirkte der schwarze Granit wie lebendig und spiegelte die Gesichter der wenigen Besucher wider, die sich an diesem kalten Tag hierher gewagt hatten. Es war ein riesiger, glänzend schwarzer Stein, in den die Namen der gefallenen Soldaten im Vietnamkrieg
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