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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition)
Autoren: Kristin Hannah
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nützlich sein könnte, wenn du mich nicht fragen kannst. Ich hab über mein Leben geschrieben, meine Eltern, meine Kindheit – und darüber, wie die Liebe – und das Mutterdasein – mich verändert hat. Ich habe geschrieben, dass ich Angst hätte, dich zu verlassen. Alles Dinge, die ich dir vor meiner Einberufung hätte sagen sollen.« Sie sah Betsy an. »Eigentlich habe ich dir mit vielen verschiedenen Worten gesagt, dass ich dich liebhabe.«
    »Hast du das immer noch?«
    Jolene spürte, wie ihr die Tränen kamen. Unwillkürlich fragte sie sich, wie lange die Erinnerung an diese Frage schmerzen würde. »Ich werde dich für immer lieben, Elizabeth Andrea Zarkades. Vielleicht vermassele ich es, vielleicht bringe ich dich in Verlegenheit oder schreie dich an, aber ich werde niemals aufhören, dich zu lieben. Du bist meine Erstgeborene. Als ich dich das erste Mal in meinen Armen hielt …« Da brach ihr die Stimme, und Tränen liefen ihr über die Wangen. »Hab ich mich so in dich verliebt, dass es mich innerlich zerriss.«
    Da umarmte Betsy sie so stürmisch, dass es Jolene fast von den Füßen gerissen hätte, aber sie klammerte sich an ihre Tochter, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Dann drückte sie sie fest an sich und roch den vertrauten, mädchenhaften Geruch von Betsys blonden Korkenzieherlocken. Sie spürte, wie ihre Tochter schluchzte.
    Jolene wusste, sie würden weitere Kämpfe ausfechten, wahrscheinlich noch viele, und wahrscheinlich würden sie sich auch anschreien, verletzen und Unsagbarkeiten an den Kopf werfen, aber dies hier würde es auch geben.
    Schließlich ließ Betsy sie los und sah sie an. Ihr wunderschönes herzförmiges Gesicht glänzte von Tränen. »Ich hab dich lieb, Mom. Bis zum Mond und wieder zurück. Das hätte ich dir sagen sollen, als du weggingst.«
    Erst in dieser Sekunde erkannte Jolene, wie sehr sie auf diese Worte gewartet hatte. »Das wusste ich, Schatz.« Sie drückte ihre Tochter wieder an sich. »Das habe ich immer gewusst …«

N EUNUNDZWANZIG
    Die Praxis des Psychiaters lag in einem kleinen, schachtelförmigen Haus aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, gleich in der Nähe der viel befahrenen Aurora Avenue. Michael hielt direkt davor und parkte neben einem Elektroauto. »Bist du bereit?«
    »Ganz ehrlich? Nein.«
    Michael lächelte sie ermutigend an. »Das ist wohl die richtige Antwort.«
    Jolene stieg aus. In der Woche seit Tamis Trauerfeier war sie viel entspannter geworden. Das Gespräch mit Betsy, die Versöhnung mit Michael, Lulus wieder ertönendes Lachen hatten dazu beigetragen, dass Jolene wieder ein Gefühl für sich selbst bekam. Sie hatte den Wein weggekippt und die Schlaftabletten entsorgt. Trotzdem hatte sie noch einen langen Weg vor sich. Selbst in Michaels Armen wachte sie manchmal nachts schreiend auf, weil sie vom Helikopterabsturz und ihrer verlorengegangenen Crew träumte. Manchmal ertappte sie sich dabei, dass sie irgendwo stand – in der Küche, im Bad, auf ihrer Terrasse – und der Verlust all dessen sie überwältigte. Vielleicht würde die Trauer für immer ein Teil von ihr sein, eine Facette ihrer Persönlichkeit; vielleicht war sie es aber auch schon immer gewesen, und sie hatte es nur nicht gezeigt. Sie wusste lediglich, es war Zeit, tief in ihre Seele zu blicken, um herauszufinden, wie sie wirklich zu Hause ankommen sollte. Welche Richtung ihr Leben nach dieser scharfen Kurve nehmen sollte. Seit sie nicht mehr trank, konnte sie ihren Lebensweg klarer sehen.
    Im Hauptraum des Hauses begrüßte sie ein älterer Mann. Er war groß und schlaksig, hatte lange, ungepflegte Haare und ein eckiges Gesicht. Zu einer durchhängenden schwarzen Hose trug er orangefarbene Clogs und ein Grateful-Dead-T-Shirt. »Hallo, Jolene«, begrüßte er sie. »Schön, Sie endlich kennenzulernen.«
    Das sollte ihr Arzt sein? »Oh«, sagte sie. Mehr fiel ihr nicht ein.
    Er lächelte breit. »Ich bin Chris Cornflower. Offensichtlich hat Michael Sie nicht vorgewarnt.«
    Michael lachte. »Auf den Erstkontakt mit Ihnen kann man sich nicht vorbereiten, Chris. Man muss es selbst erfahren.«
    »Michael hat erzählt, Sie wären ein Vietnam-Veteran«, sagte Jolene.
    »Das stimmt. Und ich war auch Kriegsgefangener.« Er streckte die Hand aus und drückte ihre. »Ich bin hoch erfreut, Sie kennenzulernen, Chief.«
    »Ich bin kein Chief mehr.«
    »Dann ist es jetzt Ihre Aufgabe, Jolene, herauszufinden, wer Sie sind. Würden Sie gerne mit mir ins Sprechzimmer
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