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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition)
Autoren: Kristin Hannah
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jemand: »Guck mal, Mom!«, und dann blickt sie auf und winkt lächelnd.
    Es ist nicht so, dass sie nicht auch am Strand entlanglaufen könnte. Mit ihrer neuen Prothese kann sie fast alles: Sie joggt, sie hüpft, sie jagt hinter einer Fünfjährigen her. Sie trägt sogar Shorts und verspürt nur noch ganz selten Anflüge von Verlegenheit.
    Aber sie sitzt hier, getrennt von den anderen, weil sie etwas zu tun hat … etwas, das sie schon lange aufgeschoben hat. Sie kann es nicht mit den anderen tun, aber ohne sie geht es auch nicht.
    Lulus Kichern weht durch die Luft.
    Jolene greift nach dem Brief in ihrem Schoß. Ihre Hand zittert, als sie ihn hochhebt und ihren Namen in der Schrift ihrer besten Freundin sieht.
    Endlich. Nach Monaten der Therapie können Worte ihr nicht mehr zusetzen. Zumindest hofft sie das.
    Sie öffnet den Brief, spürt, wie die Lasche kurz Widerstand leistet und dann nachgibt. Der Brief ist auf einfachem Kopierpapier geschrieben. Sie kann sich vorstellen, wie Tami an jenem letzten Tag vor ihrer Abreise herumgelaufen ist, um zwischen den Kleiderhaufen auf ihrem Bett und dem Matchsack auf dem Boden etwas zum Schreiben zu finden. Wahrscheinlich hat sie geflucht, weil sie kein Briefpapier gekauft hat. So war Tami; die wichtigen Dinge des Lebens behielt sie immer im Auge; aber die Details vergaß sie oft.
    Jo,
    wenn Du dies hier liest, ist es nicht so gelaufen, wie ich mir das gewünscht hätte. Komischerweise hätte ich nie gedacht, dass ich sterben muss. Ich hatte mir vorgestellt, Du und ich wären für immer zusammen, würden auf Deinem Anleger sitzen und zusehen, wie unsere Kinder älter werden, während wir immer jung bleiben. Ich hoffe, da bist Du jetzt auch: auf Deinem Anleger, in einem Liegestuhl mit einem Feuer im Feuerkorb. Und hoffentlich sind Michael und Carl mit den Kindern unten am Strand. Ist mein Stuhl neben Dir leer?
    Jolene blickt hinauf in den strahlend blauen Himmel. Ein Adler fliegt vorbei, taucht tief in das blaue Wasser und kommt mit einem glitzernd silbernen Lachs im Schnabel wieder heraus. Als er über einen Nadelbaum hinweggleitet, tropft Wasser auf Jolene.
    Jammer bloß nicht, wie sehr Du mich vermisst! Natürlich vermisst Du mich. Ich vermiss Dich auch, wo auch immer ich jetzt bin. Aber das weißt Du ja. Schon vom ersten Moment an, als wir uns kennenlernten, wussten wir alles voneinander, nicht wahr? Wir wussten es einfach. Wahrscheinlich macht das genau beste Freundinnen aus: Man ist ein Teil vom anderen. Also hast Du diesen Teil von mir in Dir, und ich habe diesen Teil von Dir.
    Ich will nicht sentimental werden. Sicher hast Du so viele Tränen um mich vergossen, dass man damit die ganze Bucht füllen könnte. Ich jedenfalls hätte so um Dich geweint.
    Gott, Jo, wir hatten alles, stimmt’s? Das denke ich jetzt, an diesem sonnigen Tag, da ich über meinen Tod nachdenken muss.
    Jetzt kommt das Wichtige: Kümmere Dich um mein Kind. Meinen Seth. Es fällt mir schwer, auch nur seinen Namen zu schreiben. Mein verdammter Stift zittert. Sorge dafür, dass er weiß, wer ich war. Ich. Es gibt Dinge, die nur Du ihm erzählen kannst. Erzähl ihm von meinem schrägen Humor, wie ich immer weinte, wenn er in der Little League einen Ball traf, und welche Träume ich für ihn hatte. Erzähl ihm, dass ich mehr als seine Mutter war; ich war sein Champion. Sag ihm, dass ich beim Lachen manchmal wie eine Seerobbe klang. Hilf ihm, sich an mich zu erinnern. Das ist mein letzter Wunsch an Dich.
    Und pass auf Dich auf! Das auch. Michael liebt Dich, und Du liebst ihn. Ich hoffe, verdammt noch mal, dass Du das nicht in den Sand gesetzt hast. Wenn doch, werde ich Dir als Geist erscheinen.
    Ich weiß, dass in Deinem Leben immer unterschwellig die Traurigkeit drohte, Jo. Das war schon früher so. Ich hab gesehen, wie Du dagegen angekämpft und gesiegt hast. Du hast immer gesiegt. Aber vielleicht ist es jetzt noch schwerer geworden. Vielleicht solltest Du ihr manchmal einfach ein bisschen nachgeben. Wir alle sind hin und wieder traurig. Ich bin jetzt traurig, weil ich daran denke, wie Du diesen Brief liest. Aber ich möchte nach unten gucken (Gott, ich hoffe nur, dass ich nach unten und nicht nach oben gucke!) und sehen, wie Du fliegst, rennst, lachst und Dein Leben in vollen Zügen genießt.
    Leb ohne Netz und doppelten Boden, Flygirl. Denn von hier oben gebe ich Dir Rückendeckung.
    Immer.
    Ich habe Dich lieb.
    T
    Jolene faltet den Brief zusammen und schiebt ihn wieder in den Umschlag. Sie weiß, sie
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