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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition)
Autoren: Kristin Hannah
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gemusterte Decke gewickelt wieder auf die Veranda kam. So lange, bis Freunde und Verwandte von Carls Haus zu ihnen kamen und sich am Zaun zusammendrängten. So lange, bis das Blaulicht des Streifenwagens zu sehen war, der zu ihrem Haus fuhr.
    Als Jolene das blitzende Licht sah, umklammerte sie fester das Geländer und erschauerte. Ihr war jetzt eiskalt. Sie musste an eine andere Nacht denken, in der sie ebenfalls – aber ganz allein – auf einer Veranda gestanden und zugesehen hatte, wie ihre Eltern davonfuhren. Sie hatte sie nie wiedergesehen.
    Tami, bring sie zurück.
    Der Streifenwagen parkte in der Einfahrt. Das Blaulicht ging aus, und plötzlich war alles dunkel.
    Zwei Polizisten in Uniform stiegen aus.
    Michael umfasste Jolene fester. Erinnerte er sich jetzt an den Abend, als er von ihrem Unfall erfahren hatte? Hatte ihm damals nicht Ben Lomand die Nachricht überbracht?
    Der ältere der beiden Polizisten schlug einen Notizblock auf. »Wir sind wegen der vermissten Kinder hier.«
    Vermisste Kinder.
    Jolene klammerte sich jetzt so fest an das Geländer, dass ihre Finger taub wurden. Denk nach, Jolene. Du kennst Betsy doch. Wohin würde sie gehen?
    Nur am Rande bekam sie mit, wie Fragen gestellt und beantwortet wurden; Beschreibungen, Namen, Lieblingsorte, Gründe fürs Weglaufen. Nach der letzten Frage trat eine Pause ein, dann antwortete Carl zögernd: »Wir hatten heute Abend eine Trauerfeier für Seths Mom. Sie kam im Irak um. Jolene hatte … äh … einen Flashback und warf sich zu Boden. Das hat … die Kinder … irgendwie aufgeregt, glaube ich. Später hörte ich, wie Seth zu Betsy sagte: ›Auf dem Foto sieht sie nicht mal wie meine Mom aus.‹ Da sah ich sie zum letzten Mal, es war zwischen halb neun und neun. Aber ganz sicher bin ich nicht, weil so viel los war.«
    Jolene hob ruckartig den Kopf. »Was hast du gesagt, Carl? Was hat Seth über Tami gesagt?«
    »Er war wütend auf mich, weil ich das Foto aus dem Irak genommen hatte. Er schrie: ›Das ist nicht meine Mom. Ihr Lächeln ist total künstlich!‹ Ich hätte auf ihn hören sollen. Dann sagte Betsy: ›Meine Mom hat seit ihrer Rückkehr gar nicht mehr gelächelt.‹«
    »Ich weiß, wo sie sein könnten«, erklärte Jolene.
    »Wo?«, fragte Carl.
    »Sie wollen die letzten Fotos von uns sehen«, flüsterte sie mit zugeschnürter Kehle. »Als wir noch normal waren.«
    »Das Crab Pot«, riefen Michael und Carl wie aus einem Munde.
    »Du fährst«, sagte Carl zu Michael. »Ich bleib hier, falls sie nicht da sind.«
    Jolene und Michael hatten sich bereits in Bewegung gesetzt. Sie gingen ins Haus, holten die Autoschlüssel und waren in null Komma nichts im Wagen, setzten auf der Einfahrt zurück und bogen auf die Uferstraße ein. Als sie am Sund entlangfuhren, sagte keiner von ihnen ein Wort. Irgendwann legte Jolene ihre Hand auf Michaels Oberschenkel, weil sie ihn unbedingt spüren wollte. »Wenn ihnen irgendwas zustößt …«
    »Sag das doch nicht, Jo«, bat er.
    Sie bogen auf den Parkplatz des Crab Pot ein, der vollkommen leer war. Zwei einsame Straßenlaternen warfen ihr Licht auf den Asphalt.
    Michael rannte zum Restaurant, und Jolene humpelte so schnell wie möglich hinterher. Die Eingangstür war nur angelehnt. Das Fenster daneben war zerbrochen. Glasscherben lagen auf den silbrig verwitterten Holzdielen der Veranda.
    Aus dem dunklen Inneren drang ein dünner Lichtstreifen.
    Michael öffnete langsam die Tür, die protestierend quietschte.
    Da waren Seth und Betsy. Zusammengekuschelt saßen sie an der Wand und hielten Polaroidfotos in den Lichtstrahl einer Taschenlampe.
    Jolene hörte Seth leise sagen: »Siehst du ihr Lächeln, Betsy? Das ist sie.«
    Eine Riesenerleichterung überkam Jolene, die allerdings nur kurz währte. Dann meldeten sich ihre Schuldgefühle. Sie hätte von Anfang an aufrichtig zu den Kindern sein sollen. Sie hätte sie warnen sollen, dass sie im Krieg verwundet werden, er Veränderungen für sie und die ganze Familie bringen konnte. In dem Versuch, sie vor dem Unvermeidlichen zu schützen, hatte sie nur ihre Verwirrung und ihren Schmerz vergrößert und all diese Kollateralschäden angerichtet.
    »Hey, Betsy«, sagte sie leise.
    Betsy blickte auf und verzog das Gesicht. »Wir bezahlen das Fenster. Keine Sorge.«
    »Um das Fenster machen wir uns auch keine Sorgen«, erwiderte Michael.
    »Ich musste da raus.« Seth stiegen Tränen in die Augen. »Alle erzählten Geschichten, wie sie in der Nationalgarde war. Und ich
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