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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition)
Autoren: Kristin Hannah
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war innerlich so zerrüttet gewesen –, aber im Laufe der Zeit war ihr klargeworden, wie viel ihr dieser Besuch bedeutet hatte.
    Jetzt umrundete sie Sarahs Bett und stellte sich direkt vor sie.
    Sarah blickte zuerst auf Jolenes Prothese und dann in ihr Gesicht.
    »Ich bin Jolene Zarkades. Sie haben mir einen Brief geschrieben. Das heißt: zwei. Es tut mir leid, dass ich erst jetzt komme. Ich war eine Weile … deprimiert und stinksauer.«
    »Chief?«
    »Jetzt heißt es nur noch Jolene. Hi, Sarah.«
    Sarahs Augen füllten sich mit Tränen.
    »Ich jogge«, sagte Jolene sanft. »Es hat eine Weile gedauert, aber jetzt kann ich wieder joggen. Ich hab mir eine neue, raffinierte Karbonprothese dazu bestellt, die man ›Blade‹ nennt. Angeblich soll ich damit rennen können wie der Wind.«
    »Ja, ja, solchen Scheiß höre ich ständig. Es gibt sogar Leute, die sagen: ›Ach, sind doch nur deine Beine. Gott sei Dank ist es nicht was Schlimmeres.‹ Das würden sie nicht sagen, wenn sie selbst nur noch einen Stumpf hätten. Oder zwei.«
    »Ich will nicht lügen: Sie werden eine Menge verlieren. Aber Sie werden auch eine Menge dazugewinnen.«
    Sarah sank seufzend in ihre Kissen zurück. »Teddy kommt heute zurück. Er hat gerade seinen Einsatz beendet, und daheim erwartet ihn ein Krüppel. Der Glückspilz. Ich weiß nicht, was ich zu ihm sagen soll. Beim letzten Mal … tja, da konnte er mich nicht mal ansehen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Jolene wusste, dass sie jetzt nicht mit optimistischen Sprüchen kommen durfte. Ihr war nun klar, dass man für manches kämpfen musste, damit es etwas bedeutete. Es gab Dinge im Leben, die einem niemand abnehmen konnte. Sie konnte diesem Mädchen, dieser Soldatin nicht sagen, wie sie mit ihrem Leben, ihrer Verwundung oder ihrer Ehe zurechtkommen sollte. Sie konnte nur hier sein, aufrecht vor ihr stehen und hoffen, dass Sarah sich am Ende daran erinnern würde – so wie sie sich an die Frau erinnert hatte, die vor vielen Monaten in Deutschland an ihrem Bett gestanden hatte. »Ich bleib hier noch ein Weilchen, einverstanden?«, fragte sie Sarah. »Und steh an Ihrem Bett.«
    »Ich war so allein«, sagte Sarah und klang jetzt fast wie ein Kind.
    »Aber jetzt sind Sie nicht allein«, erwiderte Jolene, und dann blieb sie dicht vor der Wand stehen und hörte zu, als Sarah über ihre Kindheit in West Virginia erzählte, von dem Mann, den sie seit der neunten Klasse liebte, und von der Angst, den Rest ihres Lebens im Rollstuhl sitzen zu müssen.
    Jolene sagte nur sehr wenig. Sie hörte zu, nickte und blieb stehen. Sie setzte sich nicht ein einziges Mal, obwohl ihre Hüfte langsam anfing weh zu tun.
    Als der Abend anbrach, bemerkte sie, dass Michael an der geöffneten Tür erschien.
    Er sah, wie sie an Sarahs Bett stand, und lächelte. Sie dachte an den Brief, den sie ihm vor Monaten geschrieben hatte, an den schlichten Satz Ich hab dich vom Anfang bis zum Ende geliebt. Kein Wunder, dass sie nicht mehr hatte schreiben können. Gab es noch mehr?
    Sie hatte in den Krieg ziehen und fast alles verlieren müssen, um zu entdecken, was wirklich wichtig war.
    Ich bin so stolz auf dich , sagte er lautlos. Da spürte sie, wie sich etwas in ihr öffnete, der tiefste, geheimste Winkel ihres Herzens, der jahrelang nur ihr allein gehört hatte.
    Tränen stiegen ihr in die Augen und trübten ihre Sicht, bis Michael der einzig wahre Fixpunkt in einer hellen, aber verschwommenen Welt war. Sie spürte, wie ihr die Tränen die Wangen herunterliefen und Jahre des Schmerzes fortspülten. Sie wischte sie mit dem Handrücken weg, bis auch ihre Tränen nur noch eine Erinnerung waren.

E PILOG
    Der Sommer kommt wie immer in einer Woge aus Licht und Erwartungen. An einem Tag herrscht noch der kühle, nasse Frühling, und plötzlich, als wäre ein Schalter umgelegt, ist die Sonne da. Lange, heiße Tage erwärmen die Kiesstrände der Liberty Bay und lassen das Holz der bereits verwitterten Anleger noch spröder und silbriger werden. Über den schaumgekrönten blauen Wellen flattern und schweben Seevögel und rufen einander Grüße zu.
    Jolene sitzt im Deckstuhl ihres kleinen Anlegers und sieht Michael und Carl zu, die versuchen, mit Lulu einen Drachen steigen zu lassen. Betsy und Seth rennen lachend dem Drachen nach und fuchteln mit den Händen in der Luft. Mila bejubelt begeistert ihre Versuche. Der Tag riecht nach Seetang, der auf Felsen trocknet, und Holzkohle, die im Feuerkorb glüht.
    Alle paar Sekunden ruft
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