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Zwischen uns das Meer (German Edition)

Zwischen uns das Meer (German Edition)

Titel: Zwischen uns das Meer (German Edition)
Autoren: Kristin Hannah
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Anwalt und Klient gesagt und versichert, sie könne ihm alles anvertrauen. Aber sie wusste es besser. Sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, die Wahrheit für sich zu behalten. Wenn jemand erfuhr, dass ihre Eltern Alkoholiker waren, bekam er unweigerlich Mitleid mit ihr. Aber sie hasste das, sie wollte kein Mitleid.
    Als sie fertig und alle Formulare ausgefüllt waren, hatte Michael gesagt: »Kommen Sie in ein paar Jahren wieder, Jolene. Dann lad ich Sie zum Essen ein.«
    Erst sechs Jahre später führte sie ihr Weg wieder zu ihm. Mittlerweile war sie Pilotin in der Army und er Partner einer Anwaltskanzlei. Im Grunde hatten sie nichts gemeinsam. Aber an jenem ersten Tag hatte sie seinen Idealismus bemerkt, der sie sehr ansprach, und einen Sinn für Anstand, der ihrem eigenen entsprach. Wie sie arbeitete Michael hart und hatte ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein. Damals hatte er Wort gehalten und war mit ihr essen gegangen … und so hatte alles angefangen.
    Bei der Erinnerung musste sie lächeln.
    In der Ferne blinkten Lichter am Ufer auf, goldene Pünktchen in der Dunkelheit, die Häuser anzeigten. Schleierwolken zogen über den Mond; waren sie vorbei, leuchtete er heller. Jetzt hatte sich der Abend über sie gesenkt, und es war vollkommen dunkel. Sie blickte auf ihre Uhr. Halb neun.
    Sie verspürte einen Stich der Enttäuschung, verdrängte ihn aber. Offenbar war etwas Wichtiges dazwischengekommen. So war das manchmal. Das Leben war nur selten vollkommen. Er würde schon auftauchen.
    Aber …
    In letzter Zeit schienen ihre Differenzen zu überwiegen und ihre Gemeinsamkeiten immer mehr zu schwinden. Michael hatte es immer gehasst, dass sie beim Militär war. Ihm zuliebe hatte sie zwar den aktiven Dienst aufgegeben und war zur Nationalgarde gegangen, aber das hatte ihm nicht gereicht. Er wollte weder etwas übers Fliegen hören noch über ihre Trainingswochenenden oder Freunde, die ebenfalls dienten. Er war immer schon gegen das Militär eingestellt gewesen, aber seit dem Irakkrieg waren seine Überzeugungen entschiedener und harscher geworden. Ihr einst einvernehmliches Schweigen barg jetzt Untiefen. Man fühlte sich ziemlich einsam, wenn man mit dem eigenen Ehemann nicht über Dinge reden konnte, die einem wichtig waren. Normalerweise verdrängte sie dies, aber heute Abend machte es sich, angesichts des leeren Platzes neben ihr, bemerkbar.
    Sie stand auf und ging wieder ins Haus.
    Zehn vor neun.
    Sie hob den schweren Deckel des Topfs und starrte auf ihr Essen. Die sämige Sauce war ziemlich eingekocht, an den Rändern wirkte sie schon leicht schwärzlich. Da klingelte das Telefon hinter ihr. Sie stürzte sich darauf. »Hallo?«
    »Hey, Jo. Tut mir leid, dass ich spät dran bin.«
    »Spät dran wär’s vor einer Stunde gewesen, Michael. Was ist los?«
    »Es tut mir leid. Was soll ich sagen? Ich hatte zu tun und unsere Verabredung vergessen.«
    »Vergessen«, wiederholte sie und wünschte sich, es täte nicht so weh.
    »Ich mach’s wieder gut.«
    Wie denn?, hätte sie am liebsten gesagt, aber wozu? Warum sollte sie es noch schlimmer machen? Er hatte ihr doch nicht weh tun wollen. »Ist gut.«
    » Ich versuche, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen, aber …«
    Jolene war froh, dass sie nur miteinander telefonierten; so musste sie wenigstens nicht lächeln. Der Gedanke durchfuhr sie, dass er sich in letzter Zeit nicht genug Mühe gab, dass seine Familie – und seine Frau – ihm nicht wichtig zu sein schienen. Trotzdem liebte sie ihn immer noch so wie am ersten Tag vor all den Jahren, als er sie geküsst hatte.
    Er braucht mehr Zeit , dachte sie. Nächste Woche oder nächsten Monat ist alles wieder in Ordnung. Er trauert immer noch um seinen Vater . Sie musste nur verständnisvoll sein.
    »Alles Gute zum Geburtstag«, sagte er.
    »Danke.« Sie legte auf und setzte sich an den Küchentisch. Plötzlich fühlte sie sich einsam in dem dunklen Raum mit den Familienfotos, den Erinnerungsstücken und Möbeln, die sie gerettet und restauriert hatte. Zurechtgemacht saß sie in ihrer leeren Küche. Allein.
    Da klopfte es. Noch bevor Jolene aufstehen konnte, schwang die Küchentür auf und Tami kam mit einer Flasche Champagner herein. »Du bist ja allein«, stellte sie fest.
    »Er wurde bei der Arbeit aufgehalten«, erwiderte Jolene.
    »Das hatte ich befürchtet.« Traurigkeit verdüsterte Tamis Blick. Jolene merkte, wie ihr davon unbehaglich wurde. Dann lächelte Tami. »Nun denn: Es ist nicht gut, ohne Publikum
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