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Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars

Titel: Zwischen Nacht und Dunkel - King, S: Zwischen Nacht und Dunkel - Full Dark, No Stars
Autoren: Stephen King
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Fahrt zum Polizeirevier erzählen. Das würde dann wie das Schlusskapitel eines Romans von Elizabeth George sein.
    »Zu mir nach Hause«, sagte er. »Sie übernachten heute bei Arlene und mir.«
    Sie starrte ihn an. »Ich möchte nicht … ich kann nicht …«
    »Doch, Sie können«, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Arlene würde mich umbringen, wenn ich Sie hier allein zurückließe. Wollen Sie an meiner Ermordung schuld sein?«
    Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht und lächelte schwach. »Nein, lieber nicht. Aber … Officer Shrewsbury …«
    »Harry.«
    »Ich muss erst noch telefonieren. Meine Kinder … sie wissen es noch nicht.« Dieser Gedanke brachte erneut Tränen, für die sie das letzte Papierhandtuch verwendete. Wer hätte geahnt, dass jemand so viel weinen konnte? Bisher hatte sie ihren Kaffee nicht angerührt; jetzt trank sie ihn mit drei großen Schlucken halb aus, obwohl er noch heiß war.
    »Ich denke, wir können uns ein paar Ferngespräche leisten«, sagte Harry Shrewsbury. »Und noch etwas. Haben Sie irgendwas, was Sie einnehmen können? Sie wissen schon, irgendwas Beruhigendes?«

    »Nichts dergleichen«, flüsterte sie. »Nur Ambien.«
    »Dann hat Arlene bestimmt eine Valium für Sie«, sagte er. »Am besten nehmen Sie mindestens eine halbe Stunde vor dem ersten stressigen Telefongespräch eine. Ich sage ihr nur kurz Bescheid, dass ich Sie mitbringe.«
    Er zog erst eine Küchenschublade, dann eine weitere, dann eine dritte auf. Darcy spürte, dass ihr das Herz bis zum Hals schlug, als er die vierte Schublade aufzog. Er nahm ein Geschirrtuch heraus und gab es ihr. »Haltbarer als Papierhandtücher.«
    »Danke«, sagte sie. »Vielen Dank.«
    »Wie lange waren Sie verheiratet, Mrs. Anderson?«
    »Siebenundzwanzig Jahre«, sagte sie.
    »Siebenundzwanzig«, wiederholte er staunend. »Gott, das tut mir so leid.«
    »Mir auch«, sagte sie und vergrub das Gesicht in dem Geschirrtuch.

18
    Robert Emory Anderson wurde zwei Tage später auf dem Friedhof von Yarmouth beigesetzt. Donnie und Petra saßen rechts und links neben ihrer Mutter, als der Geistliche über das Thema »Ein jegliches hat seine Zeit« predigte. Das Wetter war trüb und kalt; ein eisiger Wind bewegte die unbelaubten Äste der Friedhofsbäume. B, B&A hatte an diesem Tag geschlossen, und alle waren zur Beerdigung gekommen. Die Wirtschaftsprüfer in ihren schwarzen Mänteln drängten sich wie ein Krähenschwarm zusammen. Unter ihnen gab es keine Frauen. Das war Darcy bisher nie aufgefallen.
    In ihren Augen standen Tränen, die sie in regelmäßigen Abständen mit dem Taschentuch in ihrer schwarz behandschuhten
Hand abwischte; Petra wimmerte unaufhörlich; Donnie hatte gerötete Augen und machte ein grimmiges Gesicht. Er war ein gut aussehender junger Mann, aber sein Haar wurde bereits schütter wie bei seinem Vater, als der im gleichen Alter war. Wenn er nur keinen Speck ansetzt wie Bob, dachte sie. Und natürlich keine Frauen umbringt. Aber so etwas war bestimmt nicht vererbbar. Oder doch?
    Bald würde alles vorüber sein. Donnie würde nur ein paar Tage bleiben - länger könne er die Werbeagentur in der Aufbauphase nicht allein lassen, wie er sagte. Er hoffte, das werde sie verstehen, und sie sagte, das verstehe sie natürlich. Petra wollte eine Woche bleiben und sagte, sie könne auch länger bleiben, wenn Darcy sie brauche. Darcy versicherte ihr, das sei lieb von ihr, und hoffte insgeheim, dass es bei höchstens fünf Tagen bleiben würde. Sie musste allein sein. Sie musste … nein, eigentlich nicht nachdenken, sondern wieder zu sich finden. Wieder ihren Platz auf der richtigen Seite des Spiegels einnehmen.
    Nicht dass irgendwas schiefgegangen wäre, ganz im Gegenteil. Sie bezweifelte, dass die Sache besser hätte klappen können, wenn sie die Ermordung ihres Mannes monatelang geplant hätte. Hätte sie das getan, hätte sie wahrscheinlich alles vermasselt, indem sie das Ganze zu kompliziert geplant hätte. Im Gegensatz zu Bob war Planung nicht ihre Stärke.
    Es hatte keine Autopsie, keine bohrenden Fragen gegeben. Ihre Story war unkompliziert, glaubhaft und beinahe ja auch wahr. Ihr wichtigstes Plus war das felsenfeste Fundament, auf dem sie ruhte: Sie hatten fast drei Jahrzehnte lang eine gute Ehe geführt, die nie durch ernsthafte Auseinandersetzungen getrübt worden war. Was gab es da eigentlich noch zu fragen?
    Der Geistliche bat die Angehörigen vorzutreten. Das taten sie.

    »Ruhe in Frieden, Paps«,
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