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Zwischen Licht und Dunkel

Titel: Zwischen Licht und Dunkel
Autoren: Ursula Spitzbart
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die Verständigungssprache der Wahl trotzdem noch lange Zeit Englisch. So hatten wir uns kennengelernt, es war bequem für beide Seiten und ich konnte mich detailliert ausdrücken. Erst nach fünf gemeinsamen Jahren hatte sich Isländisch auch als „Privatsprache“ durchgesetzt.
    Isländisch sei sogar schwieriger als Deutsch, ließ eine Uni-Kurskollegin mir gegenüber verlauten. Selbst Brasilianerin und mit einem isländisch-deutschen Mann verheiratet, hatte sie etliche Jahre in Deutschland verbracht und dort meine Muttersprache von der Pike auf gelernt. Dann siedelte das Paar nach Island über und es ging von vorne los mit den Sprachstudien. Das Problem sind dabei nicht die paar eigenwilligen Buchstaben wie zum Beispiel þ , das gesprochen wird wie ein hartes, jedoch stimmloses englisches „th“. Das weiche, stimmhafte „th“ schreibt sich ð und der „ai“-Laut wird als æ zu Papier gebracht. Die Aussprache ist für deutsche Muttersprachler nicht so schwierig. Happig wird es dagegen bei der Grammatik. Sie ist so kompliziert, dass sich selbst jeder isländische Schüler endlos damit herumschlagen muß. Und es wird hier kaum einen Erwachsenen geben, dem die eigene Sprache nicht wenigstens manchmal Kopfzerbrechen bereitet. Von unregelmäßigen Verben rede ich gar nicht, denn die gibt es auch in anderen Sprachen.
    Ich will die Tücken der isländischen Grammatik an ein paar Beispielen verdeutlichen. Eine männliche Person wird mit blessaður begrüßt, eine weibliche dagegen mit blessuð . Der Messer, der Gabel und die Löffel. Wieviel angenehmer wäre es doch, wenn sich die drei Geschlechter direkt vom Deutschen übertragen ließen! Was ich übrigens immer dann mache, wenn mir das isländische Geschlecht eines Hauptwortes nicht bekannt ist. Fällt diese Wahl verkehrt aus, sind automatisch auch die restlichen Wortendungen im ganzen Satz falsch. Und warum können nicht alle miteinander ganz einfach „froh“ sein? Im Isländischen ist der Mann statt dessen glaður , die Frau glöð und das Kind glatt . Auch Eigennamen werden dekliniert. Das Mädchen hört auf den Namen Anna, ich rede aber mit Önnu . Eine Bekannte heißt Björk, ich gehe aber zu Bjarkar . Ich wohne in Reykjavík, fahre aber nach Reykjavíkur . Í Lundúnum heißt „in London“ und til Dyflinnar „nach Dublin“. Ganz dick kommt es mit den Ziffern eins bis vier. Denn die gibt es jeweils in sage und schreibe zwölf Varianten. Vor dem Gang zum Bäcker sollte man sich deshalb gut überlegen, was man kaufen möchte: jeweils vier, also fjórir Plunderschnecken, fjórar Tortenstücke oder fjögur Brötchen? Lieber doch gleich fünf, denn ab hier hat es sich ausdekliniert. Unabhängig von Geschlecht und Fall des Bezugswortes bleiben alle Zahlen ab fünf aufwärts unverändert.
    Einfach herrlich ist die isländische Sprache in ihrer Bildlichkeit des Ausdrucks. Die Beinprothese wird zum Kunstfuß, der Automat zum Selbstverkäufer und das Deodorant zum Schweißgeruchsauslöscher. Der Stau ist eine Verkehrsverstopfung, das Echo die Bergsprache und der Wasserhydrant ein Straßenbrunnen. Die Tropen heißen Hitzegürtel. Der Äquator ist ein Mittelring, der Horizont ein Sichtteilungsring und die 24 Stunden-Periode ein Sonnenring. Die Küche heißt Feuerhaus, das Plätzchen Kleinkuchen und der Polizist Gesetzregelmann. Frühstückscerealien sind Morgenkorn. Das Zubehör wird zum Folgeteil, der Park zum Allgemeinheitsgarten und der Bagger zum Erdschieber; das Mikroskop zum Kleinseher, das Fernglas zum Sichtvermehrer und die Hebamme geradezu liebevoll zur Lichtmutter.
    Dabei ist es keineswegs so, dass jeder die Lizenz zum Wörterbilden hätte. Vielmehr ist dieses Privileg einer offiziellen Sprachkommission überlassen. Diese wacht eifrig und penibel darüber, dass sich möglichst kein nicht-isländisches und daher unerwünschtes Wort in den so wohl gehüteten Sprachschatz einschleicht. Sie ist für die Umwandlung von nicht-isländischen in isländische Begriffe zuständig und damit für die „Reinhaltung“ der Sprache. Nur von der Sprachkommission Geprüftes und für gut Befundenes hat eine Chance, in die nächste Ausgabe des Isländischen Wörterbuchs oder gar des Großen Wörterbuchs des Isländischen Sprachgebrauchs aufgenommen zu werden. Selbst neue Vornamen kommen um eine kritische Prüfung nicht herum. Schließlich müssen auch sie sich mit dem isländischen Sprachsystem vertragen, das heißt unter anderem deklinierbar sein. Namen wie Rikki, Haddi und
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