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Zwischen Licht und Dunkel

Titel: Zwischen Licht und Dunkel
Autoren: Ursula Spitzbart
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Bruchteil der Wintersaison in Betrieb genommen werden. Trotzdem kann es passieren, dass Reykjavíks Hausberg Esja im Mai noch einmal und im September schon wieder von einer Schicht Neuschnee überzuckert wird. Im Norden der Insel und im unbewohnten Hochland allerdings geht es mit Kälte und Schnee merklich strenger her. Ein paar Höhenmeter mehr, und schon lässt sich die Lage knapp unterhalb des Polarkreises nicht mehr verleugnen. Einmal kletterte ich Anfang Juni auf einer mehrtägigen Hochlandwanderung eine gewaltige Schneewand hoch. Wer auf einer Weltkarte von Island aus den Polarkreis Richtung Westen entlang wandert, wird feststellen, dass in den entsprechenden Gegenden Nordamerikas nicht einmal Dörfer eingezeichnet sind.
    Gut, die Sommer sind vergleichsweise kühl. Wenn der abendliche Fernsehwetterbericht verkündet „Morgen um die Mittagszeit darf mit 14 °C bei leichter Bewölkung gerechnet werden“, dann freut sich der Isländer auf einen schönen, ganz normalen Sommertag, geradezu ideal für T-Shirt und kurze Hose. Immerhin fühlt sich dank der trockenen Luft die Temperatur gleich um zirka 2 °C höher an. Für meinen persönlichen Geschmack könnte der isländische Sommer trotzdem etwas wärmer sein. Die mittlere sommerliche Tagestemperatur liegt in Deutschland mit knapp 20 °C fast doppelt so hoch wie auf Island. Daher sind zumindest für mich auch im isländischen Hochsommer die Tage gezählt, an denen ich draußen „kurz“ unterwegs bin. Vielmehr sind Fleece- oder Wolljacke meine fast ständigen Begleiter.
    Und es gibt sie doch, die echten Sonnentage, an denen sich die Tageshöchstmarke geradezu dreist der 20 °C-Schwelle nähert oder sie sogar übersteigt. Im August 2004 hatte es in Reykjavík gleich vier Tage am Stück über 20 °C. Nur zweimal davor wurde eine ähnliche Hitzewelle registriert. Der fünftwärmste Juni, der zweitwärmste Juli … Derartige Statistiken sind immer eine Nachrichtenmeldung wert. Als ich unser neu erstandenes Außenthermometer provisorisch auf den hölzernen Balkonboden stellte und es dabei an die geschützte Hauswand lehnte, zeigte es kurz darauf über 30 °C an. „Solche Zahlen habe ich hier noch nie gesehen!“ reagierte Stefán auf diese Entdeckung. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, was ihn ein paar Wochen später erwartete: Am 30. Juli 2008 stieg in Reykjavík das Thermometer offiziell auf sagenhafte 26,2 °C, während besser geschützte Inselzonen die 30 °C haarscharf verfehlten. Der absolute Hitzerekord seit Beginn der Messungen auf Island vor zirka 150 Jahren! Es gab kein Halten mehr. Auf der Zufahrtsstraße zu Reykjavíks Badestrand stauten sich die Fahrzeuge. Im heißen Sand und kühlen Meer wimmelte es wie in Rimini. Nur dass dort im Gegensatz zu Reykjavík kein geothermal beheiztes Meereswasser- Becken zur Verfügung stehen dürfte – für alle Fälle. Überhaupt genügt schon ein einziger Sonnenstrahl, um jedes einigermaßen passende Fleckchen mit isländischen Sonnenanbetern zu übersäen. Es ist ein sonnenhungriges Völkchen.
    Schließlich gibt es noch den Wetterfaktor Wind, meinen erklärten Feind. Zu gerne macht er mir das Leben mutwillig schwer, unabhängig von jeder Jahreszeit. Nur wer ihn selbst erlebt und so wie ich mit unzähligen, gehässigen Schimpftiraden bedacht hat, weiß was ich meine. Nicht genug damit, dass sich dank seiner Hilfe die Thermometergrade oft niedriger anfühlen als sie wirklich sind. Der isländische Wind versteht es auch bestens, den Regen waagrecht vor sich her zu treiben. Bald gab ich daher meine frühere Gewohnheit auf, mich per Fahrrad auf den Weg zur Arbeit zu machen, war ich dort doch mehrfach fix und fertig eingetrudelt. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich irgendwann freiwillig eine Mütze tragen würde. Aber jeder macht das hier. So wurde eine Kopfbedeckung auch für mich zur Selbstverständlichkeit, ganz egal wie ich damit aussehe.
    Mein verlorener Kampf mit dem Einkaufswagen verbesserte mein Verhältnis zum Islandwind auch nicht gerade: Mit aller Kraft stemmte ich meinen voll beladenen Wagen am Supermarkt-Parkplatz gegen die Windböen, darum bemüht, ihn nicht gegen ein geparktes Auto rollen zu lassen. Als ihn mir der Wind dann noch in einem unbeachteten Moment etwa zwanzig Meter weit entführte, umwarf und seinen Inhalt in der Gegend verteilte, war es mit meiner Geduld vorbei. Schnell lernte ich außerdem, Autotüren vor dem Öffnen mit beiden Händen festzuhalten, um gegen Windattacken gewappnet zu
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