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Zwischen Licht und Dunkel

Titel: Zwischen Licht und Dunkel
Autoren: Ursula Spitzbart
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dass es wieder aufwärts geht. Mitte April bleibt es bereits bis neun oder halb zehn Uhr abends hell. Wenn allerdings in Deutschland schon alles sprießt und grünt, hüllt sich meine Insel immer noch in Braun und Grau. Aber der ersehnte Moment kommt: Innerhalb von ganz wenigen Tagen explodiert die Vegetation sichtlich. Der Sommer ist da.
    Am 21. Juni erlebt meine Insel dann ihren längsten Tag, an dem die Sonne in Reykjavík über einundzwanzig Stunden lang am Himmel steht, etwa von drei Uhr nachts bis Mitternacht. Im Inselnorden geht sie zu dieser Jahreszeit ein paar Wochen lang gar nicht unter – der gerechte Ausgleich für den überstandenen Winter. Richtig dunkel wird es aber auch in Reykjavík nicht. Je nach Wetterlage reicht es allerhöchstens zu einer drei oder vier Stunden langen Dämmerung. Was einerseits zu einem nächtlichen Spaziergang einlädt, kann besonders für denjenigen zur Plage werden, der keinerlei Übung in Sachen Islandsommer hat. Selbst nach etlichen Inseljahren wache ich immer noch völlig irritiert mit der Sonne im Gesicht auf, nur um festzustellen, dass es gerade einmal vier Uhr früh ist.
    Es ergibt sich von selbst, dass auf Island die Uhrenumstellung auf Sommerzeit keinen Sinn macht. Deshalb ist die Insel im Sommer zwei Stunden und im Winter eine Stunde hinter Deutschland her. Ein Zeitunterschied, der innerhalb meiner in Deutschland stationierten Bekannten- und Verwandtenkreise nur zu gerne übersehen wird. Das erklärt die zeitigen Telefonanrufe, die ich gerade im Sommer immer wieder erhalte. Trotzdem kommt das Thema „Sommerzeit auf Island“ ab und zu auf. Erst im Juni 2008 schaffte es das rund 700 Seelen-Städtchen Seyðisfjörður im Osten der Insel in die Schlagzeilen. Eine Siedlung, die im allgemeinen eher als Anlegestelle der Personen- und Autofähre bekannt sein dürfte, die Island mit dem restlichen Europa verbindet. Dieses Mal galt das heimatliche Medieninteresse jedoch der „Interessengemeinschaft Sonnigere Gesellschaft“, die allen Ernstes auf Regierungsebene beantragt hatte, die Uhr auf Sommerzeit umstellen zu dürfen. Notfalls lediglich bei sich zu Hause in Seyðisfjörður als einzigem Ort auf der ganzen Insel. Wenn das kein Anzeichen dafür ist, dass Isländer gerne und unbeirrt ihre eigenen Wege gehen!
    Auch wenn man es lange Zeit nicht wirklich merkt, wird es mit jedem Tag ein kleines bisschen später hell und früher dunkel. In Reykjavík beträgt der Unterschied im Durchschnitt fünf bis sechs Lichtminuten pro Tag, im Inselnorden etwas mehr. Mitte August schalte ich abends das Licht wieder ein. Und spätestens Mitte November dürfte es dann auch dem Letzten dämmern, dass wieder einmal die zwei langen, wirklich dunklen Monate ins Haus stehen.
    Das Bild vom nicht enden wollenden Islandwinter ist nun widerlegt. Und was die Außentemperaturen angeht … Müssen wir hier oben wirklich in Eiseskälte ausharren? Das nämlich ist eine weitere Idee, die sich in unbedarften Köpfen hartnäckig hält. „Wir Isländer leben wie im Kühlschrank“ klärte mich mein Stefán auf. „10 °C im Sommer und 0 °C im Winter ergeben eine mittlere isländische Jahresdurchschnittstemperatur von 5 °C. Genau wie im Kühlschrank. Und weshalb bewahrt man dort Lebensmittel auf? Um sie länger haltbar zu machen. Siehst du, deshalb ist auf unserer Insel die Lebenserwartung besonders hoch.“ Tatsächlich scheint in dieser Theorie ein Fünkchen Wahrheit zu liegen. Ein Blick auf die Altersstatistiken 2007 dieser Welt offenbart es: Die isländischen Männer leben innerhalb der dreißig OECD-Mitgliedsstaaten am längsten. Mehr noch: Sie dürften sogar einmal die ältesten der Welt werden, bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung bei der Geburt von gut 79 Jahren – zwei Jahre mehr als zum Beispiel in Deutschland. Islands Mädchen von heute können mit 83 Lebensjahren und damit ein paar Monaten mehr als ihre deutschen Geschlechtsgenossinnen rechnen.
    Was isländische Thermometergrade angeht, bin ich aus meiner süddeutschen Heimat deutlich härtere Zeiten gewöhnt. Dem warmen Golfstrom ist es nämlich zu verdanken, dass die Winter hier vergleichsweise mild ausfallen. Mit Frostbeulen und totalem Schneechaos ist daher kaum zu rechnen – wenigstens in Reykjavík nicht. Eine zünftige, wochenlang nicht weichende Schneedecke in der Hauptstadt erlebte ich bislang nur ein einziges Mal. In den übrigen Jahren konnten die Skilifte in der Umgebung aus Schneemangel manchmal sogar nur für einen
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