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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt
Autoren: Marie Lucas
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ich die Treppen hoch- und den Gang hinuntergehe. Erleichtert lasse ich mich neben Felix in den Sitz fallen. Er küsst mich aufs Haar und legt den Arm um mich.
    »Hola, meine Prinzessin. Schlecht geschlafen?«
    »Wie immer«, sage ich und kuschel mich an ihn. Und wie immer schlecht geträumt.
     
    Ich hab mal geträumt, ich wäre eine Prinzessin und hätte alles, was ich mir wünschte: Barbiepuppen, wohin das Auge blickte, Stühle und Tische in Pink und ein Pony – womit klar sein dürfte, dass der Traum schon ein paar Jahre zurückliegt. Und dann, eines Morgens, bin ich aufgewacht und war Aschenputtel, mit nichts weiter als ein paar Tauben, die mir auch noch die letzten Brotkrumen wegpickten.
    Manchmal hat man anscheinend prophetische Träume.  
    In der Schule zu träumen, und sei es nur tagzuträumen, ist hingegen tödlich. Zumindest wenn man in Englisch den fiesen Drachen Henschel hat. Mrs Henschel.
    »Are you still with us, Julia?« Mrs Henschel steht vor mir. Ich kann nicht behaupten, dass sie Feuer speit, aber es kommt eindeutig schon Rauch aus ihrer Nase.
    »Yes«, beeile ich mich zu sagen.
    »A whole sentence, please.«
    »Yes, I am with you.«
    »Splendid.« Ironisch kann sie also auch. »Ich war gerade dabei, Gruppen einzuteilen. Nehmen Sie doch bitte Ihre Sachen und setzen sich nach hinten. Wir wiederholen noch einmal das
will-future
. Niki will help you.«
    »Helfen? Er? Aber wieso …«, stammele ich.
    »Warum ich denke, dass Sie Hilfe brauchen?« Mrs Henschel verdreht die Augen.
    »Schon gut, schon gut«, sage ich und schnappe meine Sachen. Während ich nach hinten gehe, sehe ich, dass die anderen schon Zweiergrüppchen gebildet haben. Und dass sie mich anstarren, als müsste ich gleich aufs Schafott. Vor allem Felix sieht regelrecht besorgt aus.
    Ich lächele ihm aufmunternd zu.
    »Hi«, sage ich zu Niki, lasse mich auf den Stuhl neben ihn fallen und knalle meine Bücher auf den Tisch. »Also das
will-future
. Kann so schwer ja nicht sein. Zumindest
will
ich mich anstrengen, ha!« Ich lache übertrieben laut, das merke ich auch. Bin eben nervös. Mein Herz macht sich mal wieder selbständig.
    »Keine Angst«, sagt Niki, und das sind die ersten Worte, die er an mich richtet.
    »Angst? Wer hat denn Angst?« Noch immer habe ich es vermieden, ihn anzusehen. Stattdessen schlage ich mein Buch auf, finde die Seite nicht, blättere zurück, fange an zu schwitzen. Herrgott, es ist aber auch heiß in diesem Klassenzimmer.
    Niki wartet stumm.
    »Okay.« Ich habe die Seite gefunden, Meisterleistung. »Es kann losgehen.«
    Noch immer nichts.
    Ich drehe mich ganz wenig auf meinem Stuhl. Und sehe seine Lederjacke, die ich in- und auswendig kenne. Dann sehe ich hoch zu seinen Haaren. Seine langen, dunkelbraunen Locken. Auch keine große Überraschung für mich. Dann zu seinem Gesicht. Er schaut runter auf seine Hände und spielt mit einem Bleistift. Na also. Nichts passiert. Immer noch nicht zu Stein erstarrt. Dann, und so plötzlich, dass ich nicht damit gerechnet habe, dreht er sich um und sieht mir direkt in die Augen, und nun ist es eben doch passiert, ich schwöre es: Ich bin Stein. Ich kann mich nie, nie wieder bewegen, nachdem ich in diese blauen Augen gesehen habe, die so … ich weiß nicht, so tiefe Seen sind.
    Er sieht so gut aus, dass es wehtut.
    »Julia«, sagt er.
    Ich nicke. Was soll ich auch sonst tun? So heiße ich nun mal.
    »Did my heart love till now? Forswear it, sight. For I ne’er saw true beauty till this night.«
    »Was? Night? Was für eine night? Ist das schon das
will-future
?« Ich blättere hektisch in meinem Englischbuch, kann aber nichts mit ›night‹ finden. Dann sehe ich hoch, sehe in seine lachenden Augen. »Das steht hier gar nicht.«
    »Nein, hier nicht.« Wenn er lächelt, werden seine Augen warm.
    »Äh, dann sollten wir uns lieber auf das konzentrieren, was hier steht«, sage ich und merke, wie ich rot werde.
    »Absolut«, sagt Niki. Atmet hörbar ein, nimmt sein Buch und beugt sich so weit vor, dass ich jedes Härchen seiner Augenbrauen zählen könnte. Er liest etwas vor, auf das ich mich kein bisschen konzentrieren kann, eben weil ich jedes Härchen seiner Augenbraue zählen könnte. Und seine Wimpern noch dazu.
    »Verstanden?«, sieht er hoch und lächelt.
    Ich blicke von seinen perfekten Zähnen zu seinem Piercing und kann nicht antworten, weil mir ein Frosch im Hals sitzt. Also räuspere ich mich nur.
    »Lieber noch mal?«
    Ich nicke.
    »Die Zukunft
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