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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt
Autoren: Marie Lucas
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Stelle an ihrem Mund. »Nein, andere Seite. Ja, genau. Nutella zum Mittagessen. Konntest du dir nicht etwas Anständiges machen?«
    »Nein«, kaue ich. »Aber ich koche uns was zum Abendessen.«
    »Gutes Kind.« Sie lächelt. »Wie war’s in der Schule?«
    »Wie immer.«
    »Wie immer kann gar nicht sein. ›Immer‹ umfasst schließlich erst drei Wochen. Kommst du mit? Hast du Freunde?«
    »Klar. Weißt du doch.« Ich erzähle ihr alles. Alles, was passiert. Was nicht heißt, dass ich wirklich mit ihr reden könnte.
    »Ach ja, dein neuer Freund.« Sie will sich nicht anmerken lassen, dass sie sich sorgt.
    »Ich bin jetzt in der ›Conversation-Group‹, was nichts anderes als Nachhilfe bedeutet. Mittwochs siebte und achte Stunde.«
    »Nun, Englisch ist schließlich nicht dein Spitzenfach. Tut dir sicher gut. Und aus so etwas ergibt sich leicht etwas. Ich meine Kontakte. Ich meine damit, du solltest dich nicht nur auf deinen Freund konzentrieren. Auch andere Leute kennenlernen.«
    Ich erzähle, sie will reden. Das ist ein Unterschied.
    Ich male mit dem Finger in einem Nutellaklecks auf dem Teller und überlege, welchen Kontinent er darstellen soll. Afrika, vielleicht. Afrika mit Hals.
    »Wie hieß er noch mal?«
    »Wer?«
    »Dein Freund.«
    Ich sage es ihr und lecke mir den Finger ab. Da, und ich bohre ein winziges Loch, liegt Kinshasa. Ich kenne alle Hauptstädte Afrikas, habe sie als Kind auswendig gelernt.
    »Hört sich an wie ein Mädchenname«, sagt meine Mutter.
    Ich sehe hoch. »Was? Felix?«
    »Du hast eben einen anderen Namen gesagt. Niki, hast du gesagt.«
    Ich spüre, wie ich rot werde. »Habe ich nicht.«
    »Hast du doch. Ich sitze einen Meter weit von dir weg, ich werde ja wohl noch wissen, was du gesagt hast.« Sie sieht irritiert aus. »Wer ist denn nun dieser Niki?«
    »Diese Niki, diese. Ein Mädchen aus meiner Klasse.« Jetzt fange ich auch schon hier an zu lügen. Bald brauche ich eine Liste, was ich wann zu wem gesagt habe. Oder ein verdammt gutes Gedächtnis. »Mein Freund heißt Felix.«
    »Felix, ach ja. Und lerne ich diesen Felix auch mal kennen?«
    »O Mama!«
    »Nichts ›o Mama‹. Ich will ihn doch nur mal kennenlernen. Ist das zu viel verlangt?«
    Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nicht. Aber dann müsste Felix mit hierherkommen, und das geht nicht. Das geht auf keinen Fall. Denn soweit es ihn und die anderen angeht, wohne ich nicht hier: Ich wohne im teuersten Viertel der Stadt. Jeden Morgen und meistens noch mal am Mittag muss ich einen Umweg von einer halben Stunde machen, um diese Lüge aufrechtzuerhalten. »Noch nicht«, sage ich. »Es ist noch zu früh, dir Felix vorzustellen. Wir sind doch noch gar nicht richtig zusammen.« Ich zerstöre Afrika mit meinem Finger. »Soll ich dir auch ein Brot machen?«, frage ich, weil sie so alleine aussieht. So müde.
    Sie nickt, streicht sich durch das Haar. »Das wäre nett.«
    Sie hat es kurz schneiden lassen. Es sieht praktisch aus. Früher war es schön. Es ist nur eine Spur dunkler als meine blonden, fast schon weißblonden Haare, doch im Gegensatz zu mir hat meine Mutter Locken. Die ich gern geerbt hätte. Anders als die Stupsnase, die ich mir ein wenig klassischer wünschen würde. Meine Augen habe ich nicht von ihr, behauptet meine Mutter, obwohl meine nur eine Spur grüner sind als ihre. Wir haben die gleiche Gesichtsform, dieselben langen Wimpern und vollen Lippen.
    Ich nehme den Teller und trage ihn in die Küche.
    »Kein Nutella«, ruft meine Mutter mir nach.
    »Wurst?«, schreie ich zurück.
    »Ja, ist gut«, kommt es aus dem Wohnzimmer.
    Wir reden doch miteinander. Nur nicht über die wirklich wichtigen Dinge.
     
    Der nächste Tag ist regnerisch und grau. Wie immer bin ich früher losgegangen, als ich müsste, über die Brücke gestiefelt und ins Nachbarviertel eingedrungen, in dem Mädchen wie ich nichts zu suchen haben. Nicht mehr.
    Die Hochhaussiedlung liegt am Rand der Stadt, und wir haben einen wirklich idyllischen Ausblick auf die umliegenden Felder. Denselben Ausblick wie die Bewohner der großen Villen und Einfamilienhäuser, die nur durch ein Flüsschen von uns getrennt leben. Hinter hohen Mauern mit Videoaugen am Tor, versteht sich.
    Ich habe mir dort einen Apartmentblock ausgesucht. Er ist neu, es wohnen mehrere Parteien dort und es stehen keine Namen an den Klingelschildern. Videokamera haben ›wir‹ natürlich auch. Ohne diese Adresse hätte ich es nicht geschafft, den Schein zu wahren, aber ich hatte Glück. Zudem
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