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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt
Autoren: Marie Lucas
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begrüßt ihn. Dennoch ist es, als sei ein kurzer Stromschlag durch die Klasse gegangen. Sie grüßen ihn nicht, sie sehen ihn nicht einmal an, aber sie wissen sehr genau, dass er da ist. Es ist wie ein Knistern oder eine elektrische Reaktion, anders kann ich es nicht beschreiben.
    Niki Gruft, so nennen sie ihn. Weil er anders ist. Weil er spinnt.
    Mehr wollte Felix mir nicht verraten. »Ach der. Der spinnt«, hat er nur gesagt und mir dabei sehr genau in die Augen gesehen. »Warum willst du das überhaupt wissen?«
    »Nur so«, habe ich geantwortet. »Niemand redet mit ihm. Niemand mag ihn.« Aber, und das habe ich nicht laut ausgesprochen, aber ihr seht ihn. Ihr seht ihn die ganze Zeit.
    »Dann mag du ihn auch nicht«, hat Felix gesagt und dabei gelacht, aber es klang wie ein Befehl. Was er sehr wohl wusste.
    Es ist nicht schwer, jemanden ohne Grund links liegen zu lassen. Nicht, wenn es alle anderen auch tun. Und weil er nichts anderes verlangt. Er geht gar nicht davon aus, dass jemand nett zu ihm sein könnte. Er ist eine Insel, und jetzt höre ich auch schon auf mit diesen blöden Metaphern. Wie gesagt ist Deutsch nicht mein Lieblingsfach (und Englisch nicht und Sport nicht und und und), und diese Bilder liegen mir auch nicht. Insel, so ein Quatsch. Ich schüttele über mich selbst den Kopf und antworte automatisch auf das »Guten Morgen«, das unser Mathelehrer in die Klasse ruft. Der Unterricht kann beginnen.
     
    In der Pause stehen wir alle zusammen, Felix und Anni, dazu Konrad, Maximilian, Fred und ich. Fred heißt eigentlich Frederike und sie gefällt mir von allen noch am meisten, aber das ist nur relativ. Richtig mögen tue ich niemanden aus Felix’ Clique. Sie haben alle Geld, das heißt, ihre Väter haben es, und sie sehen alle gut aus. Und sie sind erstaunlich abstoßend in dem, wie sie beides einsetzen, sowohl Geld als auch Aussehen.
    Ich weiß, ich sollte nicht mit Steinen werfen. Ich war auch einmal so, vielleicht bin ich es noch. Aber dann würde es mir nicht auffallen, oder doch? Würde es mir auffallen, dass ich eine oberflächliche, raffinierte Zicke bin, wenn ich eine wäre? Oder anders ausgedrückt: Sind Zicken zur Selbstreflexion fähig?
    »Woran denkst du?«, fragt Felix, der auf der gemauerten Tischtennisplatte sitzt. Diese Plätze auf dem Außenhof sind sehr beliebt bei den Schülern, von denen niemand wirklich Tischtennis spielt. Felix und seine Clique scheinen eine der Platten gebucht zu haben. Mein Freund zieht mich zwischen seine Beine und schlingt die Arme um mich.
    Ich kaue noch. Passe auf, dass mein Wurstbrot nicht gegen sein Shirt kommt, und drehe den Kopf leicht weg, um ihm nicht direkt ins Gesicht zu atmen. »An Biologie«, erwidere ich, nachdem ich geschluckt habe. »An Nutztiere.«
    »Ach, schade«, sagt Felix und küsst meinen Hals.
    »Was ist schade?«
    »Ich dachte, du denkst an uns.«
    »Mir wird langsam klar, warum ihr ständig an Tiere denkt«, mischt sich Maximilian ein, der sich tatsächlich nicht Max nennen lässt. Wahrscheinlich, weil sein Name geradezu dazu einlädt, abgekürzt zu werden. Kein Max, Maxi, Milan oder sonst etwas in der Art. Nichts, was sympathisch wirken könnte. Dafür sorgt schon sein untadeliges, fast perfektes Äußeres: Maximilian sieht aus wie aus Stein gemeißelt. Perfekte, ebenmäßige Züge, klassische Nase, schön geschwungener Mund. Seine Augen sind so schmal, dass er fast ein wenig asiatisch wirkt.
    »Es gab eine Zeit«, meint Fred und drängt sich an ihn, »da waren auch wir unzertrennlich, Maximilian.« Selbst seine eigene Freundin, selbst Fred muss sich die Zeit nehmen, diesen langen Namen auszusprechen. Vielleicht ist das der Grund, warum sie ihren eigenen so männlich verstümmeln lässt. Fred macht einen Kussmund, doch Maximilian kümmert sich nicht darum. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, Felix und mich zu beobachten.
    Ich weiß, wie das wirken muss, dies Aneinanderkleben, dies Die-Hände-nicht-voneinander-lassen-können, aber so ist es nicht. Es ist eine Show, die Felix abzieht, sobald wir in der Schule sind. Eine Art Reviermarkierung. Wenn wir alleine sind, kann er richtig toll sein. Dann können wir sogar reden.
    Ich beiße in mein Wurstbrot. Die anderen essen nichts. Zumindest nichts Mitgebrachtes. Notfalls geht einer von ihnen zum Bäcker oder kauft sich was beim Schulkiosk, meist nicht mal das. In manchen Kreisen wird eben nicht gegessen.
    »Ich mag es, wenn du kaust«, sagt Felix lächelnd.
    »Ach ja?«, frage ich. Ist
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