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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt
Autoren: Marie Lucas
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lieber auf die Realschule gehen sollte. Stattdessen ließen sie ihn die fünfte Klasse wiederholen. Jetzt waren wir gleichauf. Wir waren in derselben Klasse, und alles war gut. Seine Noten waren es, meine auch, wir hatten Freunde, aber hauptsächlich hatten wir uns. Wir waren wie Pech und Schwefel. Das war«, Felix stockt und wirkt verlegen, »naja, irgendwie war das das coolste Jahr meines Lebens. Wir hatten jede Menge Spaß. Grazie.«
    Der Kellner bringt den Cappuccino und das Eis und sagt artig »Prego«.
    »Teşekkür ederim«, entgegne ich, das einzige, was ich auf Türkisch kann und auch erst vor ein paar Wochen aufgeschnappt habe.
    Der Kellner lächelt und zwinkert mir zu.
    Felix reagiert nicht darauf. Er hat sich vorgebeugt und rührt in seiner Tasse. »Und dann«, fährt er fort, und ich weiß nicht einmal mehr, ob er es mir erzählt oder sich selbst, »dann hat er alles kaputtgemacht mit diesen Spinnereien.«
    »Welchen Spinnereien?«
    Er hört mich nicht. »Kommt auf einmal an, so mir nichts, dir nichts, hängt rum in meinem Keller, wir spielen irgendwas auf der Playstation. Und dann sagt er, er hätte ein Geheimnis, ein großes. Und natürlich will ich es wissen. Ich meine, er hat nicht mal gefragt, ob ich die rote oder die blaue Pille nehmen will.«
    Pille? Was für eine Pille? Ach so, er spielt auf
Matrix
an, den Film mit Keanu Reeves. Die eine Pille zu schlucken heißt Erkenntnis, die andere bedeutet, weiter in schönster Unwissenheit zu leben.
    »Dann sagt er es mir. Und ich glaube ihm nicht. Und er sagt, ich dürfe es keinem weitererzählen, und ich schreie ihn an, warum er mir so einen Scheiß erzählt. Und dann beweist er es mir.« Felix verstummt.
    »Was denn? Was beweist er?« Ich höre wie hypnotisiert zu, vergesse darüber mein Eis.
    Felix blickt auf. »Was er mir beweist? Was für ein Spinner er ist.« Er macht eine wegwerfende Handbewegung, aber er klingt ziemlich fertig.
    »Was hat er denn nun gesagt?« Hat Felix das schon erzählt? Ist mir das entgangen?
    »Nikis Vater hat ein Bestattungsunternehmen, das weißt du bestimmt schon, oder? Nun, dann weißt du es jetzt. Und Niki behauptet …, also, er behauptet, er könne mit den Toten reden. Beziehungsweise sie mit ihm. Sie würden ihm was erzählen, oder so.«
    Ich starre ihn an. Dann muss ich lachen. Das ist alles? Deshalb dieses ganze Theater?
    »Ja, nicht wahr? Lächerlich«, sagt Felix schwach. Er starrt weiter in seinen Cappuccino.
    »Endlich kapier ich das.« Ich nehme mir einen Riesenlöffel Eis. »Jetzt weiß ich, was du mit verrückt meinst. Das ist wirklich verrückt«, sage ich mit vollem Mund. Ich muss immer noch lachen. Dann fällt mein Blick auf Felix und das Lachen bleibt mir im Hals stecken. Er sieht unter seiner Bräune leichenblass aus: Bislang habe ich das immer für eine Redensart gehalten, aber nein, das geht. »Was ist denn?« Dann werden meine Augen groß. »Du …, du glaubst ihm doch nicht etwa?«
    »Was? Ich? Natürlich nicht.« Felix lacht auf, aber es klingt reichlich unnatürlich.
    Ich lasse den Löffel fallen und lehne mich zurück. »Du glaubst ihm. Ich fasse es nicht.«
    Felix sagt nichts mehr, dreht nur seine Tasse auf dem Unterteller hin und her.
    »Das ist doch nicht dein Ernst. Du kannst doch nicht ernsthaft so einen Schwachsinn …«
    »Nein, ich glaube ihm natürlich nicht«, sagt Felix bestimmt. »Deshalb habe ich es ja auch allen erzählt. Gleich am nächsten Tag. Niki, der Geisterseher. Niki, der mit den Toten redet. Niki Gruft: So nennen sie ihn seit diesem Tag. Niki Gruft.«
    Ich starre ihn mit offenem Mund an. Irgendwas stimmt hier nicht. Irgendetwas verschweigt er.
    »Er ist bei allen unten durch seit damals. Vor allem, weil er es nicht abstreitet. Immer noch nicht. Sprich ihn ruhig darauf an, frag ihn ruhig. Er wird es nicht bestreiten. Er legt es geradezu darauf an, Zielscheibe zu sein. Er will es ja nicht anders.« Jetzt klingt Felix wütend.
    Das muss ich erst einmal verdauen. Gut, Niki erzählt Blödsinn. Felix verrät ihn. Das erklärt vieles, aber nicht alles. Dass die anderen ihn für einen Spinner halten, das schon. Aber dass sie ihn meiden wie der Teufel das sprichwörtliche Weihwasser? Erklärt es das auch? Eigentlich nicht. Was hat Niki als Erstes zu mir gesagt? ›Keine Angst.‹ Ja, das ist es. Sie haben Angst. Und Angst können sie nur haben, wenn sie, und das kann ja wohl nicht sein, wenn sie ihm glauben! Und das wiederum ist für mich nur schwer zu verstehen. »Aber man kann
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