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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt
Autoren: Marie Lucas
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doch nicht …, ich meine, das ist doch völlig absurd, das ist doch …«
    »Das wissen wir auch«, sagt Felix.
    ›Wir‹? Wer sind ›wir‹?
    »Du musst mich nicht belehren«, fährt Felix mich an. »Du kommst daher, bist neu, hast von nichts eine Ahnung und sagst uns, dass dieser Typ spinnt. Ach nee. Da sind wir schon von selbst dahintergekommen. Und es ist übrigens das, was ich dir von Anfang an gesagt habe.«
    Ich beiße mir auf die Unterlippe, weil ich nicht weiß, was ich erwidern soll. Felix sieht so wütend aus. Und irgendwie ist das eine Erleichterung, denn diese Angst, diese Blässe, die hat mir einen viel größeren Schrecken eingejagt.
    Jetzt schüttelt er den Kopf, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen. »Wir sollten nicht streiten. Nicht über Niki«, sagt er versöhnlich und greift nach meiner Hand.
    »Nein«, pflichte ich ihm bei, »sollten wir nicht.«
    »Lass uns einfach nicht mehr über ihn reden, okay?«
    »Klar«, sage ich und wundere mich, wie kalt sich seine Hand anfühlt. Als hätte er sie erst in Wasser getaucht und dann schockgefroren. Als sei sie aus reinem Eis.

2 . Kapitel
    J eder Mensch hat eine Vergangenheit, ist ja klar. Ich stelle mir die immer wie eine Perlenkette vor, voller Ereignisse, die sich aneinanderreihen. Wenn ich also jemandem erklären müsste, wie ich meine Vergangenheit sehe, dann würde ich sagen, dass die Schnur gerissen ist. Es gibt die Reste einer Kette dort und einen Haufen Perlen hier, die ich zwar aufsammele, aber noch nicht auf die Reihe kriege.
    Perlenketten. Das ist natürlich typisch, dieses Bild. Irgendwas Teures muss es ja sein. Und apropos teuer: Ich stehe vor einem Haufen Schuhkartons und überlege, welches Paar ich als Nächstes bei ebay versteigere. Es fällt mir schwer. Nicht nur, weil es Schuhe, sondern weil jedes Paar eben auch eine Perle meiner Vergangenheitskette ist.
    »Julia?« Das ist meine Mutter.
    »Komme gleich«, rufe ich zurück. Ich besitze keine sündhaft teuren Schuhe, das hat mir mein Vater nie erlaubt, aber teure Schuhe schon. Von denen ich jetzt – ich ziehe einen Karton aus dem Stapel – diese hier verkaufen werde. Meine roten Shabbies. Was sein muss, muss sein.
    »Julia, dein Handy klingelt!«
    »Komme.« Noch so etwas, das ich mir nicht länger leisten kann. Nicht bei dem Vertrag. In der Clique werde ich behaupten, ich hätte es verloren, oder so. Als ich bei meinem Handy bin, hat es schon aufgehört zu klingeln. Ich gucke aufs Display. Felix. Wer sonst. Dieses Wochenende will er mich seinen Eltern vorstellen.
    »So. Ich muss los. Alles klar bei dir?« Meine Mutter ist schon im Mantel. Sie sieht abgehetzt aus, ihr Make-up ist verwischt.
    »Warte«, sage ich und reibe ihr einen Fleck auf dem Augenlid weg. »So ist es besser.«
    »Danke, Schatz. Ich werde wohl nicht lange bleiben.« Meine Mutter fährt sich durchs Haar. »Gut so?«
    »Ja. Du siehst toll aus.« Ich küsse sie auf die Wange, und das scheint sie zu überraschen. Warum eigentlich? War ich so garstig zu ihr in der letzten Zeit?
    »Wirklich alles in Ordnung bei dir?«
    »Der Blick ist klar, die Nase kalt und feucht: ein gutes Zeichen.«
    Sie lächelt pflichtschuldig. »Ich vertraue dir. Und wie gesagt: Ich bleibe nicht lang. Nur die Formalitäten regeln, alles besprechen und so. Spätestens um elf bin ich wieder zu Hause.« Irgendetwas hält sie zurück.
    »Ich bin sechzehn. Man kann mich schon ein paar Stunden unbeaufsichtigt alleine lassen, weißt du?«
    Sie zögert, dann sagt sie es doch. »Und keinen Besuch.«
    Aha, das war es also. Meine Mutter ist das, was man gemeinhin als überfürsorglich bezeichnet. Allerdings ist in diesem Fall ihre Sorge unbegründet: »Felix setzt keinen Fuß in diese Wohnung«, sage ich. Sie kann sich gar nicht vorstellen, wie ernst ich das meine.
    »Gut«, sagt sie und wiederholt: »Ich vertraue dir. Und ich bin ja schon bald wieder da.«
    »Wie schon das eine oder andere Mal erwähnt.« Ich verdrehe theatralisch die Augen.
    »Bis später«, sagt sie. Dann ist sie verschwunden.
    Ich schließe die Tür hinter ihr.
    Als wir damals umgezogen sind, haben wir alles zurückgelassen. Alles bis auf ›das Nötigste‹. Wie ich den Ausdruck hasse. Nur die nötigsten Klamotten, nur die nötigsten Bücher, die nötigsten Schuhe, die nötigsten Klaviere, Bilder, Kamine … ich hatte alles nötig, verdammt. Wenn man etwas von so unermesslichem Umfang verliert, dann kann man gar nichts mehr hergeben. Nicht das allerkleinste
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