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Zwischen Ewig und Jetzt

Zwischen Ewig und Jetzt

Titel: Zwischen Ewig und Jetzt
Autoren: Marie Lucas
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ehrlich«, flüstere ich.
    »He’s shipshape. Total in Ordnung«, übersetzt Niki, nachdem er meinen fragenden Blick gesehen hat. Er gibt sich keine Mühe, leiser zu sprechen.
    »Pscht«, mache ich. Nikis Vater hat zwar nichts dagegen, dass ich ständig da bin und auch hier übernachte, im Gegenteil. Aber wir müssen ihn ja nicht noch wachmachen, um das unter Beweis zu stellen, finde ich.
    Niki angelt sich einen der Wagenschlüssel von der Wand. »Der Kombi ist in der Werkstatt«, sagt er.
    »O nein.«
    »O doch.« Mein Freund öffnet mir die Haustür. »Lust auf eine Spritztour der besonderen Art?«
    »Ist ja wenigstens dunkel. Da sieht uns keiner.« Ich folge ihm seufzend.
     
    In dem Leichenwagen habe ich das letzte Mal auf Toms Beerdigung gesessen. Zwei Tage, nachdem wir das Wolfswesen zurück in die Hölle geschickt oder in Wasser aufgelöst hatten, wer weiß das schon so genau.
    Wir hatten uns dahin zurückgezogen, um zu reden. Um für einen Moment Toms Familie, ihrer Trauer und Celine Dion zu entgehen. Um all das zu verarbeiten, was uns in der Nacht in Annis Haus passiert ist. Eine Beerdigung war ja auch wirklich der passende Rahmen für so etwas. Und ein Leichenwagen erst!
    »Und? Wie geht es dir?« Niki hat mich besorgt angesehen.
    »Wie soll es mir schon gehen?« Ich musste immer noch das Zittern meiner Hände unterdrücken. Meist, indem ich mich draufsetzte.
    »Ja, war schon gruselig, das Ganze.« Niki sah geradeaus. Er hatte beide Hände aufs Lenkrad gelegt.
    »Und traurig …« Es war mir so rausgerutscht, ohne dass ich darüber nachgedacht hatte.
    Ein Blick von Niki. »Was? Das mit Erik?«
    Das mit Felix, hatte ich gemeint.
Ich warte auf dich
. Ich wollte nicht, dass er wartete. Ich wollte … ich wusste nicht genau, was. »Die Beerdigung eben«, konnte ich mich rausreden. Ich vermisste Felix. Manchmal war das eben so.
    Niki gab sich zufrieden mit meiner Antwort. »Ja«, sagte er und sah wieder geradeaus. »Das war traurig. In der Tat.«
    Wir hatten uns vorher von Tom verabschiedet. Ich hatte ihm noch einmal für die Warnung gedankt, er noch mal angemerkt, was für eine »scharfe Braut« ich sei und dass es echt scheiße sei, dass er mich nicht mehr auf seinem »Bock« mitnehmen könne. Ich nehme mal an, dass damit sein Motorrad gemeint war. Und bin ehrlich gesagt ein wenig froh darüber, bedenkt man den Ausgang seiner letzten Tour. Dann hatte Tom noch ein wenig mit Niki geredet, was der mir nicht übersetzt hatte. Und das war es dann. Er war beerdigt. Wir konnten ihn nicht mehr hören.
    »Traurig«, wiederholte ich.
    »Schon«, begann Niki und warf mir einen Seitenblick zu. »Allerdings hätte ich ein weiteres Lied von Celine Dion auch nicht ausgehalten.«
    Ich musste lächeln. »Tja. Wer hätte das gedacht, dass Tom so ein Fan gewesen ist.«
    »Und dass die Gute auch noch auf Französisch singt.«
    »Oha, das waren wirklich die schlimmsten Lieder.«
    »Und wir haben schließlich Vergleichsmöglichkeiten.«  
    »In der Tat. Das war eher ein Konzert als eine Trauerfeier.« Ich musste an die Beerdigung meines Vaters denken, die Jahrhunderte zurückzuliegen scheint. An die meines Opas. Seine Lügenmärchen über den Elefanten Schewardnadse. Seine Angewohnheit, immer und überall zu summen. Seine letzten Worte an mich. So richtig ausgesprochen hatten wir uns erst, als er tot war.
    Im Auto roch es nach Blumen und Zigarettenrauch. Und nach Nikis Lederjacke, als ich meinen Kopf einfach auf seine Schulter sinken ließ. Spürte, wie er den Kopf auf meinen legte. Behutsam. Er sein Gesicht in mein Haar vergrub.
    »Er ist weg«, murmelte er nach einer ganzen Weile. 
    Und ich wusste nicht genau, ob er Erik meinte oder Tom. Meinen Vater, meinen Großvater. Oder sogar Felix. Tränen liefen mir die Wangen herunter, als ich um alle weinte. Wahrscheinlich war es nur der Schock. Vielleicht weinte ich aber auch aus Erleichterung, aus Mitleid. Nach einem endgültigen Abschied. Oder einer verlorenen Liebe wegen.
     
    Das alles fällt mir wieder ein, während ich in den Leichenwagen klettere. Die Toten hinterlassen ihre Spuren in so einem Auto. »Jetzt wird es noch mehr Erklärungen bedürfen, falls du in einen Unfall verwickelt wirst«, sage ich, um mich davon abzulenken.
    »Du meinst wegen des Wagens?« Niki lässt den Motor an.
    »Wegen deiner fehlenden Unterwäsche.«
    »Ist doch ganz klar, was wir dann behaupten.«
    »Ach ja?« Ich schnalle mich an, sehe unbehaglich hinter mich. Durch die Ranken und Blumen der
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