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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition)
Autoren: Raimon Weber
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hysterischem Kreischen und dem Wutanfall des Reisenden zu einem ohrenbetäubenden Inferno.
    Richard war in der Hölle.
    Ganz leise drang ein neues Geräusch – beiläufig und an diesem Ort unpassend – an seine Ohren.
    Schriiing!
    Mehr nicht. Wie das kurze, elektrische Läuten, wenn man einen kleinen Laden betritt, dessen Inhaber vielleicht gerade im Lagerraum Ware stapelt.
    Der Reisende spie noch immer seine Hasstiraden aus und trat ihm in die Nieren. Einmal. Zweimal.
    Er lag auf der Seite und sah durch brennende Augen, wie sich die Tür hinter dem Rücken des Reisenden öffnete. Er hatte sie nicht verriegelt.
    Richard fiel der glänzende Kupferdraht ein, den er im Kellerflur hinter der ersten Tür gesehen hatte. Vielleicht löste der ein Signal beim Öffnen der Tür aus.
    Das Schriiing!
    Der Reisende war so vor Richard gewarnt worden, aber jetzt hatte er den kurzen Laut in seiner Rage einfach überhört.
    „Scheiße!“, sagte jemand sehr deutlich und dann eine zweite Stimme: „Was ist denn hier los?“
    Der Reisende wirbelte blitzschnell herum. Das Stilett noch stoßbereit.
    Zwei Männer um die Vierzig in Freizeitkleidung – der eine in Jeans, der andere in bunter Ballonseide – standen in der Tür und starrten auf das Szenario. Sie hielten Baseballschläger in den Händen. Ihre Gesichter zeigten überdeutlich, dass sie einen gänzlich anderen Anblick erwartet hatten.
    Ein bekanntes Gesicht spähte über die Schultern der beiden.
    Krüger.
    Seine Augen drohten ihm aus den Höhlen zu fallen. „Wa...?“, brachte er nur hervor.
    Der Reisende nutzte ihre Überraschung, sprang ihnen entgegen und versenkte die Klinge in die Brust des Jeansträgers. Direkt ins Herz. „Uffa!“, machte der Mann und knickte ein. Sein Baseballschläger fiel polternd zu Boden.
    Der Reisende schenkte ihm keine weitere Bedeutung, sondern schwang das Stilett in Richtung des zweiten Mannes. Der wich gerade noch rechtzeitig zurück, und die Klinge verfehlte ihn um Fingerbreite. Der Ballonseidenträger stolperte an Krüger vorbei in den dunklen Flur. Sein Gefährte kniete auf dem Boden, presste die Hände vor die Brust und sah in entsetztem Erstaunen, wie furchtbar viel Blut durch die Finger sickerte.
    Der Reisende verpasste ihm einen beiläufigen Tritt und der Mann kippte zur Seite.
    „Mein Gott!“, keuchte Krüger entsetzt.
    Richard kroch auf die Säge zu, die der Reisende nach ihm geschleudert hatte. Sie lag nur einen Meter von ihm entfernt.
    Maria war ganz still. In der Ferne verklangen die eiligen Schritte des Ballonseidenträgers. Er lief davon.
    Der alte Krüger hingegen dachte nicht an Flucht. Er nahm eine geduckte Haltung auf der Türschwelle ein und hielt plötzlich das Kurzschwert, mit dem er sich vor ein paar Tagen noch gegen Münzberg gewehrt hatte, in beiden Händen.
    Er sah aus wie ein alternder, aber zu allem entschlossener Gladiator.
    Der Reisende versuchte an ihn heranzukommen, aber Krüger hielt ihn mit schnellen Vorwärtshieben auf Distanz. Obwohl er größer und auch jünger war, befand sich der Reisende momentan in der Defensive. Er machte ein paar Schritte rückwärts und Krüger betrat den Raum. Der alte Mann verschwendete keinen Blick auf seine Umgebung. Er konzentrierte sich voll und ganz auf seinen Gegner.
    „Das geht dich hier nichts an“, knurrte der Reisende. Er war kein bisschen außer Atem.
    Krüger sagte nichts, stieß nur mit seiner antiken Waffe zu. Der Reisende wich den Attacken geschickt aus.
    Der alte Mann hieb erneut zu, sein Gegner sprang gewandt zur Seite und das Kurzschwert schlitzte nur einen der am Boden liegenden Plastiksäcke auf.
    Sofort brachte Krüger die Klinge wieder in Angriffsstellung.
    Richard tastete mit den gefesselten Händen nach der Säge, versuchte sie in die richtige Position zu bringen und zerschnitt sich dabei die Arme. Als es ihm dann gelang, trotz seiner glitschigen Finger, die Fessel an dem Sägeblatt zu reiben, war er erstaunt, mit welcher Leichtigkeit das Seil durchtrennt wurde. Es gab keinen Zweifel, dass es sich um ein Präzisionswerkzeug handelte, dem selbst menschliche Hälse kein Problem bereiten würden.
    Der Reisende beförderte den umgekippten Stuhl mit einem Tritt vor Krügers Füße und der Heranstürmende stolperte darüber. Der alte Mann schlug hart mit dem Kopf auf und blieb benommen liegen. Das Schwert schwirrte durch die Luft und landete irgendwo klirrend auf dem Boden.
    „Neue Reihenfolge!“, sagte der Reisende nur und drehte sich nach Richard um.
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