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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition)
Autoren: Raimon Weber
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Bestsellers Der Reisende . Bunte Schnipsel steckten als Lesezeichen zwischen den Seiten.
    Der Mann schlug das Buch auf und las aufgebracht vor: „ Ich stand nackt in der Mitte des Raumes und atmete hektisch und flach. Ich fühlte mich wie ein waidwundes Tier.
    „Wer spricht?“
    Die Stimmen in den Wänden wisperten und raunten. Manche klangen zufrieden, ja lobend, andere hingegen ungeduldig. Sie forderten mich auf schneller, effektiver zu arbeiten. Warfen mir jetzt sogar Eitelkeit vor.“
    Er schleuderte Richard das Buch ins Gesicht. „Du hast mich zum Irren gemacht. Ein Irrer, der Stimmen hört! Und ich habe auch niemals Stacheldraht benutzt. Oder ist das etwa Stacheldraht um deinen Hals, häh? Angelschnur ist viel effizienter. Steck dir deine Klischees in den Arsch, Kenning!“
    Der Mann hatte sich verändert. Als er Richard nach einer Lesung in der geschlossenen Forensik angesprochen hatte, war er bleich und untersetzt gewesen. Jetzt war er muskulös und wirkte um Jahre jünger.
    Ich schreibe auch, hatte der Mann damals gesagt und Richard ein Manuskript in die Hand gedrückt, mit der Bitte um eine Rückmeldung. So etwas geschah öfters. Ob in geschlossenen Anstalten oder bei normalen öffentlichen Veranstaltungen.
    Richard hatte das Manuskript wie üblich nach kurzem Überfliegen zum Altpapier geben wollen. Aber diesmal war der Stoff anders. Er war richtig gut, wirkte geradezu authentisch. Und so hatte er sich dazu entschlossen, das Manuskript mit einigen Änderungen als sein eigenes auszugeben. Schließlich hockte der Verfasser in der geschlossenen Forensik, aus der er wohlmöglich niemals entlassen würde. Selbst, wenn er Protest eingelegt hätte ... wer würde ihm schon glauben?
    „Hören Sie“, begann Richard und versuchte ruhig und kontrolliert zu sprechen. „Es war ein Fehler. Ich werde Sie für Ihren Roman bezahlen.“
    „Moment“, sagte der Mann. „Du verstehst nicht, wie es ist, wenn man im Fernsehen und in der Zeitung mitbekommt, wie du mit meinem Leben hausieren gehst. Es verdrehst und noch damit einen Haufen Kohle machst.“
    Er wechselte das Stilett von einer Hand in die andere. „Das kannst du mit mir nicht machen, Freundchen. Seit ich von deinem Betrug erfahren habe, hatte ich nur noch ein Ziel: Dir dein Lügenmaul zu stopfen, dich zu dem zu degradieren, was du bist. Ein Stück Scheiße! Ich habe mich mustergültig benommen. Den Betreuern gezeigt, dass ich nie mehr rückfällig werde. Habe alle Tests mit Bravour bestanden. Schließlich saß ich ja nur wegen einer Gewaltsache. Kein Tötungsdelikt. Das wusstest du nicht, was! Dachtest, ich würde in der Forensik vergammeln.“
    „Wie haben Sie mich gefunden?“
    Der Mann versah ihn mit einem verächtlichen Blick. „Ich hatte dich schon einige Zeit in Unna unter Kontrolle. Schließlich wollte ich sehen, wie es dir erging. Als du dann deine Zelte dort abgebrochen hast, musste ich dir nur hierher folgen.“
    „Ich gebe Ihnen, was Sie wollen“, flehte Richard. „Ich werde mich öffentlich für alles entschuldigen.“ Er fürchtete sich davor, dass die Wirkung der Droge einsetzte und es ihm unmöglich machen würde, sich zu verteidigen. Dann wurde ihm klar, dass all seine Rechtfertigungsversuche sinnlos waren. Der Mann hatte bereits getötet. Hier in Döbeln. Und er, Richard Kenning, war der Grund dafür gewesen. Das war nichts mehr, das sich mit Geld und guten Worten aus der Welt schaffen ließ.
    „Es ist doch nur ein Roman“, versuchte Richard den Mann zu besänftigen.
    „Oh nein!“ Der Mann schüttelte energisch den Kopf. „Kein Roman! Es war meine Autobiografie, bis du sie ruiniert hast.“
    Richard wusste nichts zu sagen.
    „Ich bin der Reisende!“ Der Mann atmete tief ein und stemmte die Arme in die Hüften. „Du hast meinen Auftrag als das Werk eines Psychopathen dargestellt. Dabei bin ich ein Wohltäter, ein Erlöser. Ich beseitige nur Überflüssiges. Ich impfe die Menschheit zur Genesung.“
    Richard versuchte hinter dem Rücken seine Hände aus den Fesseln zu winden. Sie waren von Blut und Schweiß ganz glitschig. Ihm war heiß. Er schwitzte immer stärker und nahm an, dass die Droge zu wirken begann. Er schaffte es nur, die Gelenke zu bewegen.
    „Dann haben Sie die Morde alle tatsächlich begangen?“ Er musste Zeit gewinnen. Der Strick schien sich jetzt ein wenig gelockert zu haben.
    „Keine Morde!“, verbesserte ihn der Reisende mit drohendem Zeigefinger. „Impfungen, Kenning. Notwendige Impfungen! Ich habe
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