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Zwienacht (German Edition)

Zwienacht (German Edition)

Titel: Zwienacht (German Edition)
Autoren: Raimon Weber
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zurück, wagten keinen Protest, wenn ich mich an der Supermarktkasse vordrängte. Manchmal stieß ich ihnen absichtlich den Einkaufswagen in die Kniekehlen. Wenn sie sich dann entrüstet umwandten, ihre Fratzen nach einer Entschuldigung heischten, blickte ich sie völlig unbewegt an und sie wurden zu ängstlichen Schafen.
    Ich musste ihnen einfach wehtun, wenn ich mich zu lange unter ihnen aufhielt.
    Nur im Bett war es erträglich. Geschützt und warm, umgeben vom eigenen Geruch. Dort konnte man nachdenken, essen, fand Ruhe zur Entspannung. Stundenlang lag ich auf der Matratze und onanierte. Nur selten dachte ich dabei an Frauen, wusste ich doch aus eigener Erfahrung, dass sie ganz anders waren, als es die Filme vorgaukelten. Auch das war für mich eine Form von Betrug. Besser man mied Frauen und ging so allem Stress aus dem Weg.
    Seit langem quälten mich Kopfschmerzen. Meistens verkroch ich mich dann unter der Bettdecke, aber heute war ich nicht dazu bereit, mir von den Schmerzen den Tag versauen zu lassen.
    Mit nach vorn gebeugtem Oberkörper und geröteten Augen betrat ich die Apotheke.
    „Schmerztabletten“, orderte ich grußlos. „Starke!“
    Im Flur vor meiner Wohnungstür wurde ich dann von einer Gruppe Jugendlicher angerempelt. Ich erwischte einen von ihm am Arm und drückte mit aller Kraft zu. Ich konnte den Knochen unter dem Fleisch spüren. Der Junge verzog vor Schmerzen das Gesicht, Tränen schossen ihm in die Augen. Er versuchte vergeblich sich loszureißen, wurde geschüttelt und erhielt einen Stoß, der ihn straucheln ließ.
    „Ihr seid wertlos!“, schrie ich und spuckte vor den Jugendlichen aus. Sie rannten erschrocken die Treppe hinab und einer rief mir aus sicherer Entfernung „Hurenbock!“ zu.
    Diese elenden Feiglinge!
    In meiner Wohnung zerkaute ich mehr Tabletten, als der Beipackzettel erlaubte und spülte sie mit Bier hinunter.
    Es konnte Konsequenzen haben, wenn ich gegenüber solch einem Balg die Beherrschung verlor. Aufgebrachte Eltern standen dann vor meiner Tür, vorausgesetzt sie brachten den Mut dazu auf. Wahrscheinlicher war, dass sie mich bei der Polizei anschwärzten. Auf jeden Fall würde ich mich dann mit irgendwelchen Leuten herumschlagen müssen.
    Es war immer das Gleiche, die Reaktionen so vorhersehbar. Alle in einen Topf und Deckel drauf. Traf man einen, traf man alle, brachte Unruhe in diesen erbärmlichen Haufen.
    Das Dröhnen in meinem Schädel klang ab. Ich grinste und wusste genau um ihre Schwächen.

Spätfolgen

    Die Praxis befand sich direkt an der Mulde, jenem kleinen Fluss, der bei langen Regenzeiten reißend werden konnte und die Stadt in der Vergangenheit mehr als einmal überflutet hatte.
    Richard verharrte auf der Brücke und blickte in das jetzt träge unter ihm vorüber fließende Wasser. Er verfolgte mit den Augen einen treibenden Ast, der beinahe die Form eines menschlichen Oberschenkelknochens besaß. Nach ein paar Sekunden war das Stück Holz außer Sicht. Richard atmete einige Male tief ein und machte sich auf die letzten Schritte zur Praxis.
    Dr. Joachim Busch – Psychiater stand auf dem Schild neben der Eingangstür. Die Auswahl an Experten war in Döbeln nicht groß gewesen. Es hatte Richard einige Überwindung gekostet sich an einen Psychiater zu wenden, aber er war Realist genug um zu wissen, dass seine Erlebnisse und die daraus resultierenden Probleme diesen Schritt schon in Unna erforderlich gemacht hätten.
    Der elektrische Türöffner summte und Richard trat ein.
    Diesen ersten Termin hatte er nur vier Tage nach seinem Anruf bekommen. Richard war froh, sich für eine private Krankenversicherung entschieden zu haben.
    Eine Frau, die Richard auf jenseits der sechzig schätzte, trug seine Daten in eine grüne Karteikarte ein. Den Computer, der auf einem separaten Schreibtisch stand, ließ sie ungenutzt. Der Bildschirmschoner ließ schillernde Luftblasen über den Monitor schweben. Sie erinnerten Richard ein wenig an die öligen Schlieren, die er glaubte, in den frühen Morgenstunden in seiner Küche gesehen zu haben.
    Die Frau, Richard überlegte, ob man sie als Assistentin oder Arzthelferin bezeichnete, gab ungefragt ein paar Bemerkungen zum Wetter und den allgemeinen Preissteigerungen zum Besten. Richard verhielt sich freundlich, aber wortkarg und konnte sich die Frau mit ihrer leicht ins lilafarbene neigenden Dauerwelle als chronische Klatschbase vorstellen. Sie führte ihn in ein helles Wartezimmer mit Aussicht auf den Fluss und er bereute
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