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Zwergenfluch: Roman

Zwergenfluch: Roman

Titel: Zwergenfluch: Roman
Autoren: Frank Rehfeld
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machen will, ich am allerwenigsten. Aber gerade deshalb müssen wir handeln! Er ist alt und senil geworden, gibt sich lieber zweifelhaften Vergnügungen hin, statt sich um die Staatsgeschäfte zu kümmern. In seinem eigenen Interesse müssen wir ihn daran hindern, dass er seinen Ruf und sein hohes Ansehen durch Alterstorheit verspielt und nicht als großer Führer, sondern als Narr in die Geschichte eingeht. Es liegt in unseren Händen, wie die Nachwelt über ihn urteilen wird.«
    Gebannt musterte sie die Anwesenden, wartete angespannt ab, ob ihre Argumente eine Wirkung zeigen würden. Ihre fünf Gäste verfügten über hohes Ansehen und Einfluss innerhalb der Arbeiterkaste. Aus diesem Grund - und weil Tharlia sicher war, dass sie genau wie sie selbst nicht damit einverstanden waren, wie König Burian regierte - hatte sie sie eingeladen. Sie mochten verwundert darüber gewesen sein, aber niemand lehnte ohne zwingenden Grund die Einladung eines hohen Mitglieds des Hauses Lius ab, einem der ältesten und mächtigsten Häuser Elan-Dhors. Nicht einmal dann, wenn sie von der Hohepriesterin Li’thils stammte, der obersten der Hexen, wie die Priesterinnen halb furchtsam,
halb herabwürdigend oft genannt wurden. Nicht zuletzt deshalb hatte Tharlia anstelle des Dunkelturms, in dem sie sich ihrer Stellung gemäß meist aufhielt, die Heimstatt ihrer Familie als Austragungsort für dieses Treffen gewählt. Sie trug nicht einmal den Schleier, den alle Priesterinnen den Regeln ihres Ordens nach in der Öffentlichkeit zu tragen hatten. Aber dies war ja kein öffentliches Treffen, ganz im Gegenteil.
    Um Unterstützung zu erhalten, musste sie ihre Zugehörigkeit zum oft mit Misstrauen und Ablehnung beäugten Hexenorden in den Hintergrund treten lassen und ihre Abstammung hervorheben, das hohe Ansehen des Hauses Lius in die Waagschale werfen. Tharlias Vorfahren hatten zu den ersten Zwergen gehört, die einst in die Katakomben unter dem Schattengebirge gezogen waren, um hier eine neue Stadt zu gründen, die mittlerweile zur letzten Heimstatt ihres Volkes geworden war.
    Um ihre Gäste zu beeindrucken, hatte sie sie in der blauen Grotte empfangen, einem der prachtvollsten Räume des größtenteils aus weißem Marmor errichteten Anwesens. Wasser ergoss sich in kunstvollen Kaskaden über die Wände aus bläulichem Quarz, das dem Zimmer seinen Namen verlieh, und sammelte sich in kleinen Teichen, zwischen denen sie auf mit sündhaft teurer importierter Seide bezogenen Kissen um einen Quarztisch saßen und Wein tranken. Nicht das heimische, aus Gärmoos hergestellte Gebräu, das diesen Namen kaum verdiente, sondern einen gleichfalls importierten edlen Tropfen aus den von Menschen bewirtschafteten Weinanbaugebieten entlang der Ufer des Cadras, wie es ihn seit dem Rückgang der Handelsbeziehungen in Elan-Dhor kaum noch gab.
    Tharlia hoffte, dass ihre Gäste nicht allein deshalb noch
bei ihr blieben, obwohl das Unbehagen der Geladenen so deutlich spürbar geworden war, nachdem sie ihnen den Grund für dieses Treffen enthüllt hatte.
    Nichts von dem, was sie zuletzt gesagt hatte, entsprach der Wahrheit, mit Ausnahme der Tatsache, dass Burian tatsächlich alt geworden war. Aber er war niemals ein bedeutender König gewesen, seine Herrschaftszeit war von Vetternwirtschaft, Korruption und Fehlentscheidungen geprägt, hatte den Niedergang Elan-Dhors noch beschleunigt, statt ihn aufzuhalten. Sein Ansehen war verheerend, und das Urteil der Nachwelt über ihn würde so oder so gnadenlos ausfallen.
    Und dennoch stellten ihre Worte einen geschickten Zug dar, nachdem ihre auf Tatsachen beruhenden Argumente und ihre Appelle an die Vernunft nicht die erhoffte Wirkung gezeigt hatten. Sah man von den Ausgestoßenen ab, galten Ehre und Ansehen bei allen Zwergen als hohes Gut, gleichgültig, welcher Kaste sie angehörten. Sie wusste, dass ihre sorgsam ausgewählten Gäste alle mit Burians Art der Regierung nicht einverstanden waren, dennoch würde es alles andere als leicht werden, sie für ihren Plan zu gewinnen. Dass sie ihr Vorhaben jedoch als eine selbstlose Tat hinstellte, die letztlich sogar im ureigenen Interesse des Königs und seines Ansehens lag, mochte manchem einen Vorwand liefern, seine Skrupel zu überwinden und sein Gewissen zu beschwichtigen.
    »Was Ihr sagt, hat Gewicht«, ergriff Torgan nach einigen Sekunden schier unerträglichen Schweigens als Erster wieder das Wort, nachdem er behutsam sein Weinglas auf dem Quarztisch abgestellt hatte.
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