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Zwei Toechter auf Pump

Zwei Toechter auf Pump

Titel: Zwei Toechter auf Pump
Autoren: Hans G. Bentz
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spitzte die Lippen: >Na, warte’s erst mal ab. Sie ist nicht eben landläufig hübsch, wenigstens das Gesicht nicht, aber...< Er sah auf die Uhr: >Es ist ja schon halb acht. Möchtest du nicht mal ‘raufgehen und irgendeinen Laut ausstoßen, damit die Damen merken, daß längst Abendbrotzeit ist?<«
    >Gern.< Ich stand auf und ging an die Treppe in der Halle...«
    Als ich zu diesem Augenblick komme, zieht es sich — nach so vielen, vielen Jahren — um mein Herz zusammen, der Atem wird knapp, Schwindel hinter der Stirn. Ich reiße mich für ein paar Sekunden aus der Erinnerung los und sehe die Augen der beiden auf mich gerichtet. Der Himmel schwingt Föhnfahnen von Horizont zu Horizont, und vor uns drängelt sich ein Schwarm von Staren mit schillernden Rücken auf einer Insel von Grün, die schon dem sterbenden Schnee entwachsen ist. Dann überwältigt mich wieder die Vision. Es ist mir ganz gleichgültig, welche Worte ich wähle, ob ich überhaupt spreche. Dafür wächst, wie nach dem feinen, aber tiefen Stich des Floretts, in meinem Herzen der Schmerz, der uralte, der selige.
    »Die Treppe in der Halle. Ich sehe wieder ihr honigfarbenes Geländer, den üppigen Schwung, mit dem sie zum ersten Stock hinaufsteigt, die breiten, flachen Stufen, die es einem so leicht machten, aufzusteigen. In der Ecke die Kastenuhr, das alte Messinggefäß als Schirmständer, die zarten Farben des großen Teherans.
    Und dann kommt das Etwas über diese Treppe von oben herunter. Erst sehe ich nur ein Paar schlanke Beine von vollendeter Form, jetzt einen weiten Rock aus irgendeinem braungoldenen, schillernden Stoff. Bei jedem Schritt schwingt er rundum wie ein Mozart-Thema. Nun eine schlanke Taille, ein tief ausgeschnittenes Mieder, das Schultern aus mattem Elfenbein entblößt und sich an kleine, feste Brüste schmiegt. Ein Hals, stolz aufsteigend wie ein Palmenstamm, dann die wilden Lippen, die jetzt gar nicht mehr häßlich wirken, sondern das Ganze nur vollends verwirrend machen. Zumal über ihnen eine reizende Stupsnase sitzt. Und dann die Augen! Zwei goldene Sterne inmitten leicht bläulicher Augäpfel, eine mittelhohe, breite Stirn unter der Flut kastanienbraunen Haares, Grübchen in den Wangen — und jeder Schritt abwärts wie Zigeunermusik. Ja, wo hatte ich denn meine Augen? Das ist ja — das ist ja...
    Ich kann das zauberhaft verwandelte Etwas nur anstarren.
    Tante Lisi, die hinter ihr die Treppe hinabkommt, deutet meine Haltung falsch und macht hinter Judiths Rücken eine energisch aufmunternde Handbewegung: >Es hat aufgehört zu regnen, und das Essen ist noch nicht fertig.<
    >Aber Onkel Alex hat doch gesagt...<, stottere ich.
    >Alex wird eben noch ein dreiviertel Stündchen warten müssen. Es gibt nämlich zu Judiths Ankunft etwas ganz Besonderes. Also (sehr betont), mein Kavalier, nimm diese junge Dame und geh mit ihr spazieren. Um halb neun erwarten wir euch zurück.<
    Judith schlägt die Hacken zusammen und legt die Hand an die Schläfe: >Zu Befehl!< Dabei sprühen ihre Augen in gutmütigem Spott. Dann packt sie meinen Arm: >Kommen Sie, Unglücklicher. Der Hochsommer wartet.<
    Und damit beginnt der Traum. In dem Augenblick, als sie meinen Arm nimmt, ist es, als habe sich ein Stromkreis geschlossen. Auch sie merkt es, denn auf ihrem Gesicht sehe ich eine unruhige Verblüffung. Noch kämpft unsere Vernunft gegen die Magie. >Nun erklären Sie mir mal die Gegend, junger Goethe.< (Tante Lisi muß ihr erzählt haben, daß ich schon Novellen veröffentlicht habe. Das ist mir durchaus nicht unangenehm.)
    Ich murmele ein paar konventionelle Phrasen, die keiner von uns beiden ernst nimmt. Wir gehen zum Bach hinunter und über die kleine Brück«. Jenseits bleibe ich stehen und sage, ihren vorherigen Ton imitierend: >Und haben wir somit den Rubikon überschritten.<
    Ich erschrecke, sobald ich den Satz gesprochen. Wie komme ich bloß darauf? Wie komme ich überhaupt an diese Brücke? Ich entsinne mich plötzlich nicht mehr, bis hierher gegangen zu sein. Es muß ein Schweben gewesen sein. Und liegt nicht der Bach, der im Schein des Sonnenuntergangs wie Feuer glüht, zwischen uns und dem Haus wie ein Flammenschwert? Ein Flammenschwert, das unser ganzes bisheriges Leben dicht hinter unseren Füßen von uns weggeschlagen hat?
    Als ich wieder zu mir komme, finde ich ihre Augen erstaunt auf mich gerichtet. Wie ich mich aber in diesen Blick verliere, finde ich, daß das Erstaunen nur vordergründig ist. Dahinter liegt etwas anderes —
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