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Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Titel: Zwei Schwestern
Autoren: Adalbert Stifter
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Einzelne, wenn er nicht aufgefordert worden wäre, gewiß nicht gegangen wäre.
    So lebten wir drei Wochen neben einander, und lächerlich war es, daß wir beide immer im schwarzen Frake gingen, natürlich, weil er immer bei Rechtsmännern, ich aber bei Beschüzern aufwarten mußte. Er nannte mich daher einmal, da ich wieder ganz schwarz zum Speisen nach Hause kam, Paganini den Dritten. Es war dies der einzige Scherz, den ich den Mann, der eher immer trübsinnig war, sagen hörte.
    Einmal war wieder recht schlechtes Wetter. Es war kein tüchtiger Regen, der alles rauschen und strömen macht, und daher doch wieder fröhlich ist, sondern es war das Wetter, das mir schier unter allen das widerwärtigste ist: ein diker unbeweglicher Nebel, der sich wie Fließpapier an die Fenster legt, der oben am Himmel Sonne, Mond, und alle Thurm- und Häuserspizen wegfrißt, und unten auf Erden alle Dinge naß, schmuzig und tropfend macht. Zum Ueberfluße war noch Sonntag, an dem wir beide keine Geschäfte hatten. Wir saßen stochernd und in den Zeitungen blätternd herum. Da gerieth ich auf einen Einfall und legte ihn meinem Nachbar vor. Wir sollten nehmlich in eins der Theater gehen, ohne eher, als wir uns in dem Hause befänden, zu wissen, in welches, und ohne das Stük zu kennen, das aufgeführt würde; denn die Zettel, die gewöhnlich auf einem Tischlein im Speisezimmer lagen, hatten wir vorher keiner angeschaut. Ihm war es recht und ich schritt ans Werk. Ich ließ einen Lohndiener rufen, rieß aus einem weißen Blatte Papier fünf Stüke, schrieb auf jedes den Namen eines der fünf Theater Wiens, rollte sie zusammen, und befahl dem Diener, eins zu ziehen. In das Theater, dessen Namen er auf seinem Zettel finden würde, sagte ich, solle er uns Karten zu Sperrsizen holen, und die Karten in Papier gewikelt bringen. Unterwegs möge er uns einen Wagen bestellen, dem er das Theater nenne, daß er uns um halb sieben Uhr dahin fahre. Mein Nachbar ließ alles willig geschehen, und der Diener ging fort. Als er wieder gekommen war und uns die in Papier gewikelten Karten gebracht hatte, gingen wir auf mein Zimmer, und verbrachten den Rest des Nachmittages, wie man solche Nachmittage zu verbringen pflegt, das heißt, wir rauchten ein wenig, sahen bei den Fenstern auf den Nebel hinaus, und manchmal auf die Uhr. Endlich ward es finster, weil die Zeit im späten Jahre war, es ward zulezt auch halb sieben Uhr, und der Wagen wurde uns gemeldet.
    Ich hatte den Plan, daß wir durchaus nichts von der Fahrt wissen sollten, ich sagte daher meinem Nachbar, daß ich die Fenstervorhänge des Wagens herab lassen wolle. Er war, wie gewöhnlich, zufrieden, und wir stiegen ein. Der finstere Wagen fuhr aus dem Thore, wendete um Eken, fuhr ziemlich lange fort, und sezte uns endlich an dem Josephstädter Theater ab. Ich sagte nun meinem Begleiter, wir wollen innen keinen Zettel anschauen, daß wir das Stük, das gespielt wird, nicht vorher kennen. Er willigte ein, wir gingen in das Haus, unsere Size wurden geöffnet und wir sezten uns nieder. Wir waren ganz nahe an der Bühne, was uns angenehm war, und was wir dem Schuze unsers Lohndieners verdankten.
    Das Theater war schon sehr voll, man könnte sagen, gedrängt voll, und doch kamen noch immer neue Menschen, und klappten auf allen Seiten die Sperrsize, woraus wir schloßen, daß ein sehr beliebtes Stük bevorstehe: aber unserem Vorhaben getreu fragten wir niemanden, und da wir Fremde waren, redete uns auch niemand an. Endlich da schon alles außerordentlich erfüllt war, klang das Zeichen des Anfanges. Es wurde eine Musik gemacht, die kürzer und unbedeutender war, als sie gewöhnlich Stüken vorher zu gehen pflegt. Dann war es stille und der Vorhang ging auf. Die Bühne zeigte ein schönes Zimmer und war leer, nur daß ganz vorne an den Lampen zwei Notenpulte standen. Unter den Zuschauern war das tiefste Schweigen. Da trat ein junger schwarz gekleideter Mann aus dem Hintergrunde der Bühne hervor, und führte ein Mädchen in weißem Gewande an der Hand - es war nicht eigentlich ein erwachsenes Mädchen, sondern ein Ding, das noch zwischen Kind und werdender Jungfrau stand - das weiße Kleid ließ dem Kinde sehr wohl, es hatte zwei breite auf den Rüken hinab gehende Zöpfe, und die Augenbogen, wie ich zu bemerken glaubte, waren besonders klar. Die Haare waren einfach gescheitelt. Die Zuschauer erhoben, als sich dieses Paar zeigte, einen unglaublichen Sturm des Beifalles, und man erkannte leicht, daß er dem
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