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Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Titel: Zwei Schwestern
Autoren: Adalbert Stifter
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einer sehr großen Stadt sei, muß es sich eben zugetragen haben, und muß Aufsehen erregen. Und gerade in großen Städten trägt sich immer etwas zu, und macht von Zeit zu Zeit etwas Aufsehen. Darum sind die Tagesgespräche so wandelbar. Wie lange das Kinderpar in dem Gedächtnisse ihrer Freunde und Verehrer fortgelebt haben mag, kann ich nicht erörtern, und es liegt nicht innerhalb den Grenzen dieser Geschichte.
    Mein Nachbar und ich waren noch immer in Wien. Er wurde später sogar krank, und bei der großen sonderbaren Scheu, die er gegen jedes Hospital an den Tag legte, lag er auf seinem Zimmer neben dem meinen darnieder, und hatte einen Arzt und eine Wärterin, sonst aber niemanden. Ich ging daher häufig, wenn es meine Zeit zuließ, zu ihm hinüber, redete mit ihm, erzählte ihm die Tagesbegebnisse, was an der Wirthstafel gesprochen worden sei, wer abgereiset und neu angekommen wäre - ich gab ihm auch zuweilen Arznei ein, richtete ihm die Kissen, und erfuhr bei dieser Gelegenheit, wie bitter mager der Mann sei, wenn er so den Arm heraus strekte, um etwas zu fassen, oder wenn er etwa das Knie gegen die Deke stemmte, und eine sehr spizige Piramide machte. Er lag den ganzen Tag ruhig, es kam kein Mensch zu ihm, und man wußte auch gar nicht, welche Angehörige er habe; denn man sah ihn nie Briefe empfangen oder schreiben.
    Endlich wurde er wieder nach und nach gesund, und ging in seinem schwarzen Frake aus, wie er vor der Krankheit ausgegangen war, nur daß man ihm das überstandene Uebel ansah.
    Seine Abreise, wie er sagte, näherte sich nun heran. Er mußte seinen Prozeß verloren haben, weil er noch düsterer und noch trauriger aussah.
    Eines Tages kam er nach dem Mittagsessen zu mir herüber und sagte, daß er Abends nach sechs Uhr mit dem Postwagen abreisen werde. Er frage mich daher, ob er mich kurz vor jener Stunde treffen könne, um von mir Abschied zu nehmen. Ich antwortete ihm, daß ich den ganzen Nachmittag zu Hause bleibe, und daß ich ihn sogar, wenn er es erlaube, bis zu dem Postwagen begleiten werde. Er nahm es gerne an, und ging wieder in sein Zimmer zurük. Von den Schwestern Milanollo hatte er richtig bis hieher kein Wort gesagt.
    Am Nachmittage hörte ich ihn viel hin und her gehen; er mußte einpaken, was er selber that, weil er nie einen Diener gehabt hatte. Ein wenig nach vier Uhr, da ich eben bei meinem Fenster hinaus sah, sah ich einen Träger einen ledernen Koffer und zwei Handsäke von der Wendeltreppe herab über den Hof fort tragen, die ich als die seinigen erkannte. Von nun an war es in dem Zimmer neben mir stille.
    Eine geraume Zeit nach fünf Uhr ging ich zu ihm hinüber, und fragte, wann er gehen wolle; ich sei bereitet, ihn zu begleiten.
    »Ich werde gleich gehen,« antwortete er, »und wenn ihr Zeit habt, und euch die Mühe nehmt mich bis zu dem Postwagen zu begleiten, so freut es mich sehr.«
    Bei diesen Worten stekte er noch Verschiedenes zu sich, und warf verschiedenes Unbrauchbare weg.
    »Ich bin noch euer Schuldner,« sagte er dann, indem er etwas in ein Papier Gewikeltes, das auf dem Tische lag, nahm und es mir einhändigte.
    »Wofür?« fragte ich.
    »Ich habe vergessen, euch damals meinen Antheil an den Sizen und an dem Wagen zu bezahlen, als wir in dem Theater in der Josephstadt waren,« antwortete er.
    »Ist es das?« sagte ich, »das ist ja so wenig, und es wäre von keinem Belange gewesen, wenn ihr ganz und gar darauf vergessen hättet.«
    »Muß doch berichtet sein,« antwortete er.
    Ich stekte das Papier, ohne seinen Inhalt zu untersuchen, zu mir, und verfolgte die Sache nicht weiter.
    Er war indessen fertig geworden, und sagte: »Ist es gefällig?«
    Ich wandte mich zum Gehen, er zog noch flüchtig die Lade des Schreibtisches heraus um zu sehen, ob er nichts vergessen habe, und wir schritten zur Thür hinaus. Es war sonderbar, es fiel mir schwer auf, obwohl ich mit dem Manne nie in einer eigentlich näheren Verbindung gewesen war, daß er nun gehe, und, als wir das Zimmer verlassen hatten, die Schlüssel an der Thür steken ließ, wo bisher immer, wenn ich in seiner Abwesenheit vorbei ging, ein festes nettes Vorhängschloß angelegt war. Als wir in den Hof gekommen waren, sagte er der Magd, die wir dort sahen, und der gewöhnlich das Zimmerfegen oblag, daß er nun reise, daß die Schlüssel steken, und daß sie über das Zimmer verfügen könne.
    Wir schritten nunmehr bei dem Thore hinaus. Auf der Gasse sagte er zu mir: »Ich danke euch noch einmal sehr
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