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Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Titel: Zwei Schwestern
Autoren: Adalbert Stifter
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jüngere Schwester heraus. Sie hielt sie, gleichsam wie eine ältere Beschüzerin, an der Hand. Wir sahen das jüngere der zwei Kinder aus dem Postwagen, das mit seinen Augen so kindlich geschaut hatte. Das Mädchen, bedeutend kleiner als Theresa, war ebenfalls weiß gekleidet, aber statt der gescheitelten Haare und der Zöpfe hatte es ein Kinderköpfchen, rund um voll Loken. Theresa stimmte ihr die kleinere Geige, die auf dem zweiten Pulte lag, und reichte sie ihr dar. Die jüngere Schwester stand nicht, bevor das Spiel begann, mit dem Ernste, und ich möchte sagen, mit der Düsterheit da, wie die ältere gethan hatte, welche wußte, was für ein tiefes und schwankendes Ding jezt beginnen werde: sondern sie war, wie ein zuversichtliches Kind, das eine schwere Aufgabe her zu sagen hat, aber auch weiß, daß es dieselbe kann. Das Spiel fing an. Die Kleine spielte es mit Freudigkeit und mit Sicherheit - Theresa begleitete sehr bescheiden, und half nur hie und da gelegentlich mit einem starken Striche aus. Da sie endeten, erhob sich ein rauschender, stürmender, tobender Beifall. Die kleine Künstlerin verbeugte sich freudig, wie eben ein Kind, das froh ist, daß es seine Sache gut gemacht hat. Ich dachte mir: du liebes Wesen, das Herz mit seinen Freuden und Leiden muß noch nicht in dir erwacht sein; die Töne sind dir nette gute Dinge, aus denen man recht schöne Sachen machen kann - aber du erfuhrst es noch nicht, welch eine Seligkeit und auch welch eine Wehmuth in ihnen liegen könne. - Theresa führte unter einem Beifallsjubel das mit Lob überschüttete Kind von der Bühne; nur in der Mitte wendeten sich beide noch halb um und verbeugten sich.
    So endete das zweite Spiel.
    Im dritten spielte Theresa etwas Heiteres, aber Anstandvolles. Ich könnte sagen: sie wand ihre starken goldenen Töne herrlich um die Häupter der Menge.
    Dann spielten beide ein kurzes Duett, und dann wieder Theresa allein. Mir fiel jezt mein Nachbar ein, den ich in der That ganz und gar vergessen hatte. Ich wußte nicht, ob er ein Kenner oder ein Freund der Musik sei, wir hatten, wie mir schien, von Musik früher nie gesprochen. Er war auch die ganze Zeit über so stille neben mir gesessen, er hatte mich nicht angeredet, er hatte sich nicht gerührt, so daß es begreiflich wird, daß ich, der ich so aufmerksam gegen die Dinge vor mir hingezogen wurde, auf ihn vergessen konnte. Jezt sah ich ihn an - aber ich erstaunte und erschrak fast; denn es fielen ihm Thränen, eine nach der andern, Schlag auf Schlag, über die gefurchten Wangen herab. Dabei saß er starr und unbeweglich. Alle, die um uns herum und alle, die schön gepuzt in den Logen saßen, blikten gegen die Bühne hin, und sahen ihn nicht. Ich aber war ein wenig unruhig, und meine Aufmerksamkeit war getheilt. Die Töne gingen vor uns fort, und die Musik war eine traurige. Seine Thränen wurden noch reichlicher, und meinem ihm zugewendeten Ohre war es fast vernehmlich, als seien sie in ein hörbares Schluchzen übergegangen. Ich fürchtete, ich würde ihn aus dem Theater fort bringen müssen; denn da jezt das Spiel aus war, sahen auch die Augen anderer Menschen auf ihn hin. Aber er hielt sich fest. Die Thränen wurden nicht mehrere, eher weniger, und das Schluchzen wurde nicht hörbarer. Er sah hiebei nicht rechts und nicht links.
    Theresa spielte noch etwas Einfaches, sehr Edles - dann war noch einmal ein ganz kurzes Duett - und dann war die Vorstellung aus.
    Da nun die Menschen sich zum Gehen erhoben, da ein Theil derselben sich in Bänken und Gängen stellte, um den lärmenden Beifall fortzusezen, so war es unter dem Gedränge leichter, meinen Nachbar fort zu bringen, da jezt niemand weiter auf ihn achtete. Ich that auch, als hätte ich nichts gesehen, und da er näher gegen das Ende der Bank gesessen war, ging er in der Menge vor mir her. Auf dem langsamen Wege bis zu dem Thore wurde nichts zwischen uns gesprochen, aber da wir in dem Wagen, den ich draußen herbei gerufen hatte, saßen, sagte er die Worte: »Ach, du unglüklicher Vater, du unglüklicher Vater!«
    Da ich diese Aeußerung durchaus nicht verstand, antwortete ich nichts darauf, und er sprach auch während des Fahrens nichts weiter. Als wir in unserem Gasthofe angekommen waren, und ich eben den Fahrlohn für den Wagen bezahlte, ging er in sein Zimmer hinauf. Ich that deßgleichen, und begab mich nach einiger Zeit in das Gastzimmer hinunter, um noch etwas weniges zum Nachtmahle einzunehmen. Es saßen verschiedene Menschen
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