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Zwanghafte Gier

Zwanghafte Gier

Titel: Zwanghafte Gier
Autoren: Hilary Norman
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drei Jahren abgelehnt hatte, in Lyns Gästehaus zu ziehen, nachdem Matts und Suzys Eltern innerhalb von sechs Monaten gestorben waren.
    »Mein Leben ist hier«, hatte Suzy ihrer Tante erklärt. »Meine Arbeit, Matt und Ally.«
    Doch dieses Leben war nun auf schreckliche Art zusammengeschrumpft, wie Suzy feststellen würde, sobald sie aus dem Koma erwachte, falls sie erwachte, und falls sie sich erinnern konnte, wer sie war.
    Alex würde zwar noch immer da sein, doch die Arbeit würde sie zunächst einmal vergessen können.
    Und Matt war nicht mehr da.
    Den größten Teil der ersten Wochen nach der Beerdigung und Suzys ersten lebensrettenden Operationen hatte Alex neben ihr gesessen und zu ihr geredet, fest davon überzeugt, dass Suzy sie hören konnte. Vor Lyns Rückkehr nach Florida hatte sie dieser versichert, dass sie an Suzys Seite bleiben und sie niemals aufgeben würde.
    Ich kann ohnehin nirgendwo sonst hingehen.
    Dann und wann war sie im Café Jardin gewesen, das sie nur wenige Tage nach dem Unfall geschlossen hatte; die Angestellten waren bezahlt, sämtliche Reservierungen gestrichen. Sie war über den Berg ungeöffneter Post hinweggestiegen und zwischen den kahlen, verstaubten Tischen hindurch zur Küche gegangen. Wenn sie die Augen geschlossen hatte, hatte sie Matt dort gesehen, in seinem Element, beim Rühren, Riechen und Abschmecken. Doch wenn sie die Augen wieder öffnete, war niemand mehr da gewesen, und sie war ins Krankenhaus zurückgekehrt, um wieder an Suzys Bett zu wachen.
    Der Moment, den Alex am meisten herbeigesehnt hatte – Suzys Erwachen –, war mit unbarmherziger Schnelligkeit in jenen Augenblick übergegangen, den sie wie keinen anderen gefürchtet hatte.
    »Matt?«, hatte Suzy ganz plötzlich gefragt.
    Der Name hatte unfertig geklungen – das »tt« am Ende kaum hörbar –, doch es hatte kein Zweifel bestanden, nach wem, nach was Suzy gefragt hatte, und ihre Augen hatten Alex verraten, dass sie die Antwort bereits kannte. Zumindest konnte sie sich denken, dass etwas nicht stimmte, da ihr Bruder nicht an ihrer Seite war: Matt hätte jede freie Sekunde am Bett seiner Schwester verbracht.
    Alex war klar gewesen, dass sie Suzy sofort die Wahrheit sagen musste, so qualvoll sie auch sein mochte. Für Zurückhaltung war kein Platz.
    Alex hatte Suzys Hand genommen und ihr in die Augen geblickt.
    Das Licht darin war schon erloschen, ehe sie es ausgesprochen hatte.
    »Matt ist gestorben, Suzy, Liebes.«
    »Was wirst du jetzt tun?«, hatten die Leute Alex gefragt.
    »Ich weiß es nicht«, hatte sie jedem wahrheitsgemäß geantwortet. Sie hatte sich ziellos gefühlt, verloren. Ihr Leben hatte keinen Sinn mehr gehabt.
    Bis zu dem Tag, da Suzy – vier Monate, nachdem sie aus dem Koma erwacht war – ihren ersten verständlichen Satz zustande gebracht hatte.
    »Das Essen hier ist Mist.«
    Sie hatte Physio- und Sprachtherapie bekommen, seit sie das Bewusstsein wiedererlangt hatte, und Alex hatte Suzys Beziehung zu Ginny Khan, der Sprachtherapeutin, mit Interesse verfolgt. Die Faszination über den stetigen Vertrauensaufbau zwischen beiden Frauen, das Wahren des empfindlichen Gleichgewichts zwischen professioneller Distanz und Vertrautheit und die Freude, nachdem sie die ersten Erfolge mit eigenen Augen hatte erleben dürfen – das alles hatte Alex bewegt wie sonst nichts seit Matts Tod.
    »Wie geduldig bist du?«
    Das war eine von vielen Fragen, die Ginny Khan Alex gestellt hatte, nachdem diese vierzehn Tage in Bibliotheken und mit Nachdenken verbracht und vorsichtig die Möglichkeit erwähnt hatte, ihr Leben von Grund auf zu ändern und sich ebenfalls zur Sprachtherapeutin ausbilden zu lassen.
    »Wie entschlossen bist du?«, hatte Ginny weiter gefragt. »Im Allgemeinen.«
    »Ich kann sehr entschlossen sein«, hatte Alex geantwortet, »wenn es sein muss.«
    »Bist du zart besaitet?«
    »Nein.«
    Es war immer schwieriger geworden, die Fragen zu beantworten, ohne nachzudenken.
    »Hast du irgendwelche Vorurteile?«
    »Wie gehst du mit dem Versagen um? Mit dem anderer, aber auch mit dem eigenen?«
    »Lässt du dich leicht unterkriegen?«
    »Meinst du, dass du zwischen deinen eigenen Zielen, deinem eigenen Frust und dem deiner Patienten unterscheiden kannst?«
    »Wie würdest du damit fertig, wenn man dir sagt, du sollst einen Patienten aufgeben, bevor ihr euer gemeinsames Ziel erreicht habt?«
    Alex war immer unsicherer geworden.
    »Das ist zu hart«, hatte sie später zu Suzy gesagt. »Offensichtlich
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