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Zwanghafte Gier

Zwanghafte Gier

Titel: Zwanghafte Gier
Autoren: Hilary Norman
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erkannt hatte, was geschehen war.
    Was sie getan hatte.
    Wie sie zitternd herausgesprungen war und ihr erster Schrei, als sie ihn gesehen hatte. Und die Schreie hatten angehalten, waren lauter und schriller geworden, als sie den Wagen von ihm heruntergerollt hatte – von ihrem Sohn , und ihr ganzer Leib hatte gezittert wie ein Ast im Sturm.
    Dann folgte für einen Moment gar nichts in Judes Traum. Nur eine seltsame Leere, wie ein Riss in einem alten Film.
    Dann der Anblick von Scotts Körper.
    Er sah eigentlich ganz normal aus: kein Blut, keine Prellungen.
    Aber auch keine Atmung.
    Jude wachte schweißgebadet auf, wie immer, wenn er den Traum gehabt hatte.
    Nach zweiundzwanzig Jahren suchte er ihn gottlob nicht mehr ganz so häufig heim, doch wenn er ihn packte, war seine Kraft so groß wie eh und je.
    Jude schaute sich um, sah, dass er auf seiner kleinen Couch lag, und erinnerte sich daran, warum er es gestern Nacht nicht mehr ins Bett geschafft hatte.
    Er erinnerte sich an den Unfall.
    Vermutlich war das der Grund, dass der Traum zurückgekehrt war.
    Sie hatten die schäbigen kleinen Reihenhäuser von Luddesdown Terrace in Kemp Town während der vergangenen Monate restauriert, und während die fertigen Gebäude wieder hell erstrahlten und auf ihre neuen Bewohner warteten, wurden die Endhäuser im Osten und Westen noch immer von Gerüsten eingerahmt.
    Jude war mittlerweile in der glücklichen Lage, sich seine Bauprojekte aussuchen zu können, nachdem er sich den Ruf eines fähigen Allrounders verdient hatte. Egal ob Maurer-, Dachdecker- oder Malerarbeiten, nur wenige waren so gut wie er. Seine Lieblingsprojekte in Sussex waren bis heute das Stadttheater von Seaford gewesen, der neue Flügel des Reha-Zentrums in Hove, ein kleines, aber schmuckes Hotel in Newhaven, das speziell Urlaubsquartiere für Behinderte anbot, und dann natürlich die E-Galerie, die Ed und Eva Hauser vergangenes Jahr in Worthing eröffnet hatten.
    Den Job in Luddesdown Terrace hatte Jude angenommen, weil er die Häuser mochte. Normalerweise missfiel ihm zu viel Symmetrie. Er mochte es nicht, wenn alles einheitlich, ja uniform gebaut war; aber diese Reihenhäuser, jedes mit dem gleichen, reizenden Balkon im ersten Stock und der gleichen Anzahl an Steinstufen, die zur Haustür führten, besaßen genug Eigenheiten in Proportion und Design, um Judes Zuneigung zu wecken.
    Was vermutlich trotz der Fugenarbeit (die er nicht mochte) und des kalten Aprilmorgens einer der Gründe für seine gute Stimmung gewesen war. Er hatte gerade bei einem Song von Robbie Williams im Radio mitgesungen, als Earl Cobbins, der oben auf dem Dach arbeitete, einen lauten Schrei ausstieß. Zuerst hatte der Schrei überrascht geklungen, hatte sich jedoch rasch in einen Schrei nackten Entsetzens verwandelt, als Earl an Judes Leiter vorbeigestürzt war. Wild hatte er mit den Armen um sich geschlagen und war dann auf den Steinweg geprallt.
    Heute, einen Morgen später, hörte Jude noch immer das Geräusch, als sein Körper aufgeschlagen war.
    So wie Earls Glieder, ja sein ganzer Leib verdreht gewesen waren, stand von Anfang an fest, dass es schlimm war, auch wenn er noch lebte. Vielleicht war es schlimmer als der Tod, hatte Jude kurz gedacht – Gott möge ihm verzeihen –, während Ron Clark, der Vorarbeiter, einen Rettungswagen gerufen hatte. Jude und die anderen Bauarbeiter hatten um den bewusstlosen Earl herum gestanden und darüber debattiert, ob sie ihn in die stabile Seitenlage bringen sollten oder besser nicht, nachdem sie festgestellt hatten, dass er noch atmete.
    »Am besten fassen wir ihn nicht an«, hatte Jude gesagt, allerdings mehr aus Instinkt als aus wirklichem Wissen.
    Niemand hatte ihm widersprochen.
    »Sie wollen, dass ich bleibe«, hatte ein kreidebleicher Ron Clark zu Jude gesagt, während die Sanitäter Earl auf der Trage in den Rettungswagen geschoben hatten. Vorher hatten sie dem Bewusstlosen den Nacken gestützt und ihn sorgfältig festgeschnallt. »Ich soll mit der Polizei reden, aber jemand muss Earl auch ins Krankenhaus begleiten.«
    »Das mach ich schon«, hatte Jude gesagt.
    »Guter Junge.« Ron hatte ihm auf die Schulter geklopft.
    »Was ist mit seinem Dad?« Jude wusste, dass Earl nicht verheiratet war, und eine Freundin hatte er auch nicht, soweit Jude wusste, doch er hatte Earl über seinen Vater reden hören, der in London lebte.
    »Ich habe mit dem Büro gesprochen«, antwortete Ron. »Sie haben ihm schon Bescheid gesagt.«
    »Der arme
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