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Zurück in die Zwischenwelt (German Edition)

Zurück in die Zwischenwelt (German Edition)

Titel: Zurück in die Zwischenwelt (German Edition)
Autoren: Filomena Nina Ribi
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zwanzig Meter Entfernung, bemerkte ich zum ersten Mal das verlassene Häuschen. Bei der ganzen Aufregung um „das Loch“ war mir vorher gar nicht aufgefallen, dass hier hoch auf dem Berg, mitten im Kastanienwald und weit entfernt von jeglicher Zivilisation ein Rustico stand.
    Ein Rustico ist eine kleine, typisch Tessiner Steinhütte, die vor allem zu Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut wurde. Man lagerte Käse und Wein darin oder man benutzte das kleine Haus als Stall für die Nutztiere. Die Steine aus Granit wurden damals meistens von Hand zu den Bau-Orten getragen. Die Mauern bestanden aus aufeinander platzierten und ineinander verkeilten Natursteinen, wobei die kleineren in die Spalten zwischen den Größeren geklemmt wurden, sodass kein Zement notwendig war – genau wie beim Bau einer Trockenmauer. Diese Bauart erfordert zwar einige Erfahrung, aber das Resultat ist eine perfekt stabile Mauer, trotz der unterschiedlichsten Steinformen.
    Die Dächer der Rusticos bestanden ebenfalls aus Steinen, dafür wurden aber besonders dünne und flache verwendet. Holz wurde nur für die Türen benutzt, als Stütze oberhalb der Fenster und Eingänge und für die Balken des Daches. Bei dem Holz handelte es sich um Kastanienholz, da dieses durch die große Menge an Tanninen die Eigenschaft besitzt, lange erhalten zu bleiben und nicht zu faulen.
    Um 1900 war im Tessin ein großer Teil der Wälder am Berghang gerodet worden und vom Talboden aus wurde das Land mehrere hundert Meter weit den Berg hinauf kultiviert. Die gerodete Fläche wurde vor allem genutzt, um Weinreben anzupflanzen und seltener auch für Edelkastanien-Plantagen. Die verschiedenen Parzellen wurden meistens durch Steinmauern voneinander abgegrenzt und die Rustici dienten dort oben als Lager. Die Leute trugen damals alle Materialien von Hand hinauf. Geteerte Straßen existierten noch nicht – dafür pflasterte man aber mit viel Mühe etwa einen Meter breite Steinwege, die aus handgroßen, runden Steinen bestanden.
    Heute hingegen hat der Wald, der hauptsächlich aus wilden Kastanienbäumen besteht, sich sein Land wieder zurückerobert und reicht an zahlreichen Stellen bis hinunter zur Ebene und zur Stadt. Aus diesem Grund geschieht es oft, dass man beim Wandern im Wald mitten im Nichts und weit entfernt von der Zivilisation auf einen gepflasterten Weg stößt oder sogar auf ein altes Rustico.
    Ich begab mich zum Rustico, um es aus der Nähe zu begutachten. Auf der Vorderseite gab es eine Bank aus dunkelgrauem Stein – ich setzte mich und schaute mich um. Wären die zahlreichen Bäume nicht gewesen, dann hätte ich bis auf die Talebene sehen können. Hundert Jahre zuvor, ohne Bäume, war die Aussicht von hier oben sicher atemberaubend gewesen – auch wenn die Bauern sich wahrscheinlich fast nie ausruhen konnten und wohl durchaus andere Sorgen hatten als die Aussicht. Vermutlich saßen sie auf der Talseite, um dabei vom Tageslicht zu profitieren, wenn kleinere Handarbeiten zu erledigen waren, denn ein Rustico hat nur sehr wenige und kleine Fenster, sodass es darin immer sehr dunkel und einigermaßen kühl ist.
    Ich stand wieder auf und umrundete das kleine Gebäude, dann blieb ich vor dem Eingang stehen. Oberhalb der geschlossenen Tür war ein querliegender Holzbalken als Tragelement platziert worden, darüber befand sich ein ebenso langer flacher Stein, der ein wenig aus der Mauerebene herausragte, sodass der Regen nicht direkt auf das Holz tropfte. In den alten Holzbalken waren ein Datum und zwei Buchstaben eingekerbt und mit roter Farbe bemalt worden: „1908 L. D.“
    Ich schrak auf: „Was war das?“ – Ich hatte ein Geräusch gehört, jetzt raschelte es wieder. Ich schaute mich um, konnte aber nichts erkennen – und trotzdem fühlte ich mich seltsam beobachtet. Plötzlich fing Frida an, zu bellen und stellte ihren kurzen Pelz auf: Es bildete sich ein dunklerer Fellstreifen entlang der Wirbelsäule, der in einem aufgestellten Fell-Dreieck vor dem Schwanz endete. Man könnte wirklich sagen, die Haare standen ihr zu Berge – und dann raste sie los, nach unten.
    Ich rief Frida mehrmals, aber sie schien jetzt völlig außer Rand und Band zu sein und hielt nicht an, also lief ich ihr hinterher. Ich musste den ganzen Weg hinunterrennen, bis ich auf die geteerte Straße stieß – dort hatte Frida endlich angehalten, um auf mich zu warten. Ich band sie sofort an die Leine und marschierte entschlossen nach Hause.
    Am Tag darauf entschloss ich mich, diese Stelle
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