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Zur freundlichen Erinnerung

Zur freundlichen Erinnerung

Titel: Zur freundlichen Erinnerung
Autoren: Oskar Maria Graf
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Schnee fiel mehr. Es war seltsam—: Jetzt, da man schonungslos der Kälte ausgeliefert war, wußteman nicht mehr, war's eine rasende Hitze oder eine gänzliche Eisigkeit, was in den Gliedern brütete. Der ganze Körper hatte das Gewicht verloren. Es schien als schwebe er durch eine unsäglich friedliche Stille…. Auf einmal drückte etwas Hartes an den Arm, umklammerte, zerrte. Es schrie wie durch Nebelschwaden, dann näher. Es rüttelte stärker. Das Geschrei schwoll. Der Kopf' an der Brust bewegte sich stumm.
    Karl Pruvik öffnete die Augen. Das grelle Licht einer Taschenlaterne stach ihm ins Gesicht, blendete, schmerzte.
    "He!—He! Was ist da!!" schrie ein Schutzmann, riß erregt am Arm.
    "Was ist denn das! Auf! Auf!!"
    Alles tat wieder weh. Die zerfrorenen Knochen rührten sich, schmerzten, als seien sie alle einzeln abgeschlagen und bewegten sich wie in einem geplatzten Gipsverband klappernd von dannen.
    Erst in der Stube der Polizeistation sah Karl Pruvik, daß noch einer neben ihm stand, genau so reglos und stumpf wie er. Auf den redeten die zwei Schutzleute ein, fragten, schrien ihn an.
    Endlich nach einer Weile schritt man durch eine Tür und das Licht war aus den Augen. Die beiden lagen auf einer Pritsche, in warme Decken gewickelt. Die Glieder bewegten sich ohne Schmerz. Wärme kam langsam. Von Zeit zu Zeit berührten sich Arm oder Fuß.
    Nach langer Zeit hörte Karl Pruvik wieder polternde Stimmen und kalte Luft huschte üher sein Gesicht. Die Pritsche knarrte und Schritte dumpften. Eine Tür fiel zu. Jetzt war es leer neben ihm.—
    Es fiel gläseriges Tageslicht durch die vergitterte Luke, als er die
Augen öffnete.
    Ein etwas ins Rundliche gehender Schutzmann mit gemütlichem, wohlig gerötetem Gesicht stand vor ihm und sagte in friedlichem Baß: "Sie können sich wieder fertig machen. Es liegt nichts vor gegen Sie!"
    Karl Pruvik hob seinen übermüdeten Oberkörper auf der Pritsche.
    "Haben Sie denn den andern gekannt?" fragte der Schutzmann.
    Pruvik schüttelte dumpf den Kopf.
    "Hat ein paarmal eingebrochen," erzählte der Polizist beiläufig und redete weiter: "Stehn Sie dann auf und kommen Sie. Sie können wieder gehen."
    Karl Pruvik sah ihn verständnislos an.
    "Eine harte Zeit jetzt—und hundekalt diesen Winter!" brummte der
Schutzmann und bat Pruvik abermals aufzustehen.
    Der erhob sich endlich und ging mit ihm durch die Tür in die
Polizeistube hinaus.
    Ein Wachtmeister saß am Tisch und hatte seine Papiere in der Hand, sah ohne Arg, beinahe mitleidig auf Pruvik.
    "Sie können wieder gehen," sagte er in dienstlichem Brustton und reichte ihm Invalidenkarte und Militärpaß.
    Karl Pruvik stand zögernd da und machte keine Bewegung.
    "Es liegt nichts vor gegen Sie!—Daß einer keine Bleibe hat, kann jedem einmal passieren," sagte der Wachtmeister menschlich.
    Pruvik nahm mechanisch seine Papiere.
    "Grüß Gott," sagten die beiden Polizisten und nickten dem Gehenden zu.
    Einer öffnete freundlich die Tür.
    Karl Pruvik ging.
    Es schneite nicht mehr auf den Straßen. Das Bleich des Tages tat den Augen weh. Ein Wind hatte sich erhoben und pfiff schonungslos um die scharfen Hausriffe. Es war kalt. Es war wirklich grausam kalt….

ETAPPE
I.
    Der Stab für das Eisenbahnbauwesen der Ostarmee lag vor Dünaburg. Es ging die Rede von einem russischen Durchbruchsversuch. Die Baukompagnie 14 geriet ins Feuer. Es gab Verluste. Der Bau der Feldeisenbahn kam ins Stocken. Die Verbindung mit der Kampffront blieb auf Tage unterbrochen. Vom Oberkommando der Armee lief eine Beschwerde beim Stab ein. Drängende Befehle peitschten zur Beschleunigung. Der Major hatte wieder jenen gehässigen Ärger auf seinem finsteren Gesicht, der an den Brückenbau in Kowno vor der Ankunft des Kaisers erinnerte.
    Zwei Tage vorher bereits überwölbte das fertiggebaute, riesige hölzerne Mittelstück die gesprengte Memelbrücke damals. Die Belastungsprobe war glatt verlaufen. Allenthalben sah man entspannte, befriedigte Gesichter. Die ermüdete Mannschaft trat schon zum Heimmarsch in die Quartiere zusammen. Plötzlich murrte ein langgezogenes, ruckendes Grollen über den nebeligen Fluß. Die Brückenmitte hatte nachgegeben, war fast um einen halben Meter tiefer gesunken. Eine Totenstille herrschte minutenlang. Dann bellten abgehackte Befehle durch die Luft. Die erschöpften Abteilungen schwärmten wankend auseinander, wieder auf die Brücke und ins eisige Wasser. Die ganze Nacht hämmerte, ächzte, krachte, schob und schrie es
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