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Zur freundlichen Erinnerung

Zur freundlichen Erinnerung

Titel: Zur freundlichen Erinnerung
Autoren: Oskar Maria Graf
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im Nu mitten im dichtesten Gemeng und drängte sich vorwärts. Eine warme Duftwelle schlug ihm entgegen, starkgeschminkte Gesichter tauchten auf und seltsam kühne Reflexe warf das grelle Licht auf glänzende, rauschende Damentoiletten. Überschnell schwirrten geschäftige Stimmen ineinander, Seidenrauschen, Lächeln, Autohupen und das fadendünne Zirpen süßlicher Tonfälle vermischten sich zu einem betäubenden Geräusch. "Einfach glänzend!" rief wer. "Rührend, wie die Hohlmann spielt!—Nein, einfach entzückend!" zwitscherte eine überhelle Stimme. "Huw, dieses Schweinewetter!-Kommt schnell ins Auto!" ließ sich zwischendurch vernehmen. Und wieder: "Kritisch gewertet—: Eine Glanzleistung in Regie und Spiel!" Dann das laute, aufdringliche Gekicher der Backfische: "Dieses herrliche Rüschenkleid, Mama!—Hast du gesehen,—den Sonnenschirm!—und das Biedermeierkostüm im dritten Akt? Entzückend!—Du Lilly, weißt du was! So gehen wir heuer im Fasching!—Gell Mammi! Gell!"
    Es plätscherte fort und fort, oben, unten, überall. Abschiednehmen,
Handküsse, Einladungen für das morgige Festessen, Lachen, Autovor—und
Abfahren—alles wie ein flimmernder Hexentanz!—
    Karl Pruvik war mittlerweile unbemerkt bis an das Eingangstor gelangt. Noch eine geschickte Finte und er hatte für heute nacht ein Dach über dem Kopf. Sein Herz schlug heftig. Es war wieder Leben in seine froststarren Glieder gekommen. Behende glitt er an den aufeinandergedrängten Gestalten vorbei und fühlte auf einmal Raum und Wärme. Er lugte spähend nach dem betreßten Portier, duckte sich mehr noch zusammen, hielt den Atem an, arbeitete sich an der Wand entlang.
    Im selben Augenblick aber stockte die Bewegung des Menschentrupps. Er
zerteilte sich und jäh brachen die Reden ab. Durch eine glotzende
Gaffergasse hastete der Portier mit steinernem, finster drohendem
Gesicht auf ihn zu.
    "Was suchen Sie denn da?—He! Sie! Sie!" schrie der Türhüter. Karl Pruvik zog wie ein gezüchtigter Hund die Schultern hoch und verbarg den Kopf völlig in seiner schlotternden Brust.
    "Was Sie wollen, frag' ich!?" bellte der Portier hinter ihm und packte ihn heftig am Arm, riß ihn zurück. Ohne Wort und ohne Abwehr ließ sich der Eingedrungene von dem belfernden Türhüter und zwei inzwischen herbeigeeilten Logendienern ins Freie schieben. "Hm, sowas?—Sich ins Theater einzuschleichen!" sagte jemand von den Stehengebliebenen und schüttelte den Kopf. Der ins Stocken geratene Menschenhaufe bekam wieder Bewegung und drängte sich durch den Ausgang. Die Tore schlossen sich finster. Schwätzendtrabten die letzten Paare vorüber.
    Karl Pruvik stand zögernd und benommen im glitzernden Schneegeflock. Einen Augenblick hatte es den Anschein, als straffe sich sein Körper, als hole er zu einem Satz aus und wolle in die vorbeigleitenden, duftenden, rauschenden, geschwätzigen Menschen springen, aber schließlich torkelte er doch üher die verschneite Freitreppe hinunter und bog in die Seitengasse ein, die vom Theaterplatz abzweigte. Ein letztes Auto surrte weg. Die Stimmen verloren sich in der Ferne. Die erleichternde Helligkeit, die die Beleuchtung des Theaterpalastes nach allen Seiten him verbreitet hatte, verlosch lautlos. Es war wieder ringsherum die fahle, unwirkliche Düsternis der Winternacht.—
    Karl Pruvik hob den Kopf hilflos. Eine knappe Wurfweite vor ihm ragte etwas Schwarzes aus dem Schnee und bewegte sich wie schwebend von der Stelle. Willenlos und ohne Grund folgte er der Erscheinung.
    Lange ging er so.
    Es mußte schon tief nach Mitternacht sein. Trist gähnten die menschenleeren Straßen und Plätze.
    Man stand am Rande des Stadtparkes. Die kerzengerade Gestalt verschwand zwischen den Bäumen.
    In der aufgeworfenen Bahn der Spur schritt Karl Pruvik weiter. Es war viel dunkler hier. Die schneebeladenen Baumäste lasteten schwer herab. Nur zeitweilig gab sich eine hellere, freiere Stelle und undeutlich ließen sich eingemummte Bänke erkennen. Auf einer solchen hockte die zusammengekauerte Gestalt nun, der er die ganze Zeit gefolgt war. Stoisch ließ sich Karl Pruvik neben ihr nieder und legte wie aus einer plötzlichen Eingebung heraus seinen steifen Arm um nasse, scharfe Schultern. Lahm schmiegten sich die beiden Körper aneinander. "Kalt," murmelte es kaum hörbar aus dem Kopf, der haltlos auf seine Brust herabglitt.
    "Kalt," brummte Pruvik ebenso leise und schloß seine Augen. Auch sein
Kopf sank herüber auf das Genick des anderen.
    Kein
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