Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zur freundlichen Erinnerung

Zur freundlichen Erinnerung

Titel: Zur freundlichen Erinnerung
Autoren: Oskar Maria Graf
Vom Netzwerk:
Mark. Sechshundert!
    Und da kam die Lunge.
    Und kurz darauf hätte es eine allgemeine Aufbesserung gegeben, weil die Zigarettenfabrik Zuccalisto fünfundvierzig Prozent Dividende verteilen konnte dieses Jahr und auch was tun wollte für ihre Arbeiter.

OHNE BLEIBE
    Es war schneidend kalt.—
    Der Schutzmann an der Ecke sah einem angeheiterten Doppelpaar grießgrämig nach und knurrte mürrisch.
    Durch den Gedanken, daß diese Leute nun in ihre warmen Stuben heimgingen und vor dem Zubettgehen vielleicht noch heißen Tee tranken und eine Kleinigkeit zu sich nahmen, hatte er sich davon abbringen lassen, weiter auf und ab zu gehen und seine durchfrorenen Beine durch zeitweiliges Stampfen einigermaßen warm zu erhalten. Jetzt stach die Kälte doppelt quälend in allen seinen Gliedern.
    Er knirschte verdrossen, zog seinen Kopf noch tiefer in den aufgestülpten, starren Mantelkragen, bog mit sichtlicher Überwindung die steifgewordenen Knie und ging wieder weiter.—
    Die Stimmen der Spätlinge verschwammen mehr und mehr. Es wurde wieder still. Wie ausgestorben dehnte sich das verlassene Geviert aus. Düster und drückend ragten die Hauswände empor. Der Schnee fiel dicht und sehr ruhig.—
    Mißmutig schwenkte der Schutzmann in eine breitere Straße ein. Durch die gleichmäßiger verteilte Schneefläche schien es hier heller und weiter zu sein. Er blickte erleichtert in die weiße Eintönigkeit. Eine strichhaft hagere Gestalt kam auf ihn zu. Der Mann schien weder Kopf noch Arme zu haben. Nur die Beine warf er mechanisch nach vorne wie ein aufgezogenes Gespenst. Als er kaum noch fünf Schritte von ihm entfernt war, hustete der Schutzmann sehr vernehmlich und hob sein verärgertes Gesicht.
    "Sie!" rief er dem Herankommenden gehässig laut entgegen und warf sich in straffere Haltung.
    Die Gestalt blieb stocksteif stehen. Nur der Frost schüttelte sie.
    "Haben Sie Papiere?" fragte der Schutzmann, noch einen Schritt machend, und musterte den Mann.
    Der rührte sich nicht.
    "Sie!!" brüllte der Schutzmann wie fluchend und leuchtete dem Fremden mit der Taschenlaterne entgegen. Alles an ihm war wieder in bester dienstlicher Ordnung.
    Ein harkiger, abgerissener, verdorrter Baumstamm oder eine arg ramponierte Säule konnte es sein, was da im Lichtkreis stand. Raschen Blicks überflog sie der Polizist.
    "Ihre Papiere!—Sind Sie denn taub!" schrie er abermals, wütend über das Aufgehalten werden bei solcher Kälte, und setzte schnell, wie witternd hinzu: "Oder haben Sie keine?"
    Der Fremde zog endlich seine erstarrte Hand aus der tiefen Hosentasche und reichte ihm die schmutzigen, durchnäßten Ausweise.
    "Karl Pruvik, Klempnergehilfe" stand auf der überleuchteten Invalidenkarte. Herkunft, Geburts—und letzter Dienstort und Datum waren verzeichnet. Abgestempelte Marken klebten auf der ersten Hälfte.
    Der Schutzmann steckte das Papier unter den blauen Militärpaß und schlug diesen auf.
    "Infanterist Pruvik, Karl.—14. Regiment" orientierte die erste Seite.
    "Verwundet bei Luneville (Armschuß rechts), desgleichen bei Tarnopol
(Knieschuß links), verwundet bei Verdun (Schulterschuß links)" war im
Anhang eingetragen, und so und soviele Gefechte und Schlachten erwähnte
das nächste Blatt.
    Das Gesicht des Schutzmanns verlor mehr und mehr die stiere Härte, hob sich etwas höher aus dem Mantelkragen.
    "Hm!—Auch Kriegsteilnehmer? … Ohne Bleibe, was?" sagte er mit zufriedener Ruhe und streckte dem regungslos Dastehenden die Papiere him. Dessen Gestalt schwankte ein klein wenig nach vorne.
    "Hundekälte das! Warten Sie, es geht schon!" rief da der Schutzmann
noch loyaler und steckte dem Mann die Papiere hilfsbereit in die
Rocktasche: "Ist ja noch nicht so spät. Noch alles offen in der Stadt.
Sie kommen sicher unter!"
    "So," sagte er eben, als in nächster Nähe die Uhr zehn schlug. Einen
Augenblick horchte er auf, nickte und entfernte sich eilsamen
Schritts. Schon von weitem erspähte er die Ablösung.
    Karl Pruvik riß sich fest zusammen und schritt wieder weiter.
    Der Schnee fiel und fiel.
    Nach einer langen Weile wurde es endlich etwas lichter. Menschen
stapften vorüber. Grelle Autolaternen glotzten üher einen freien
Platz. Üher einem mächtigen Säulenportal leuchteten groß die
Buchstaben "Schauspielhaus".
    Vielleicht vom Licht angezogen verschnellerte Karl Pruvik unwillkürlich seine Schritte, eilte geraden Wegs auf den Theaterausgang zu. Eben strömte die Besucherschar aus den großen, glitzernden Toren. Er befand sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher