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Zur freundlichen Erinnerung

Zur freundlichen Erinnerung

Titel: Zur freundlichen Erinnerung
Autoren: Oskar Maria Graf
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wegräumen und übergoß ihn beim Heimkommen mit siedendem Kartoffelwasser, weil er das Vogelfutter für den Kanarienvogel mitzubringen vergessen hatte.
    Michel mußte damals ins Krankenhaus gebracht werden und sah zum erstenmal, wie ein Bett aussah.
    Es war schön in diesen hellen Räumen. Man sah viele fremde Menschen, die allerhand erzählten. Michel faßte Mut da und ging nach seiner Entlassung mit dem was er auf dem Leibe trug, auf die Wanderschaft, schlug sich auf alle mögliche Art und Weise durchs Leben.
    Mutter—?! Ein komischer Begriff!
    Michel hatte noch so etwas wie eine abgemagerte Frau in einem Haufen
Lumpen im Gedächtnis. Ein Paar spindeldürre Arme wie Stöcke. Und
Hüsteln.
    Und das, was er nun seit ungefähr zwei Jahren unausgesetzt ablebte:
Eben ein Zimmer voll Gerumpel, mit erstickender Luft und einem
Vogelbauer im staubigen Fenster.
    Nur—daß Michels Weib zwei Kinder hatte und hin und wieder zum Putzen ging, daß das jetzige Zimmer keinen Vogelbauer hatte, ein klein wenig heller war, aber enger als das frühere.
    Vor zwei Jahren war es etwas anders. Damals arbeitete Michel noch in der Motorenfabrik. Es war guter Verdienst. Aber wie der Teufel sein wollte, die Firma machte Bankrott, kam noch hinzu, daß das damalige Haus, in dem Michel mit Weib und Kindern in einer Zweizimmerwohnung hauste, in ein Warenhaus umgewandelt wurde, und die Leute nach langem Hin und Her auf die Straße gesetzt wurden.
    Weshalb soviel Aufhebens machen! Die Entwicklung der Dinge läßt sich leicht denken. Die Hauptsache war immer: Man hatte zur Not ein Dach üher dem Kopf bekommen. Man wußte, wo man hingehörte.—
    Nun, es ist etwas Wahres dran an dem Sprichwort: "Wo die Not am größten, ist Hilfe am nächsten."
    Trotzdem der Verstorbene sich vielleicht geschworen haben mochte, nie und nimmermehr für Michel etwas zu hinterlassen, fiel dem Sohn jetzt die ganze erraffte Habschaft des Alten zu.—
    Es war erst fünf Uhr nachmittags. Michel konnte in aller Ruhe das Zimmer des Verstorbenen durchstöbern und alles mitnehmen. Er fand außer baren fünftausend Mark einige Anzüge, von denen er den besten sogleich anzog, einen Überzieher, den er ebenfalls umlegte, und allerhand Gerumpel, das er dem Tändler Finsterhofer verkaufte.
    Er war gut aufgelegt, der Michel, lachte und gab schließlich dem drängenden Tändler auch das ganze andere Geschleppe, die übrigen Anzüge und was da noch war.
    Die Tasche voll Geld schritt er in die dämmernde Stadt.
    "Ist doch gut, wenn man weiß, wer einen auf die Welt gebracht hat," brummte er aufgeheitert und ging in eine der bekannten Wirtschaften inder Bahnhofsnähe, um noch ein paar Gläser zur Feier des Tages zu trinken.
    Es kam ihm merkwürdig vor, als er so unter den anderen Arbeitern,
Zuhältern, Herumlungerern und alten Huren saß.
    Einige kannten ihn und maßen ihn von der Seite.
    "Hast das große Los gezogen, Michel! He … gibst was aus?" rief ihm ein Tisch zu und in jedem Blick war ein konstatierendes Zwinkern.
    Michel setzte sich. Es tat ihm wohl, daß soviel Freundlichkeit ihn umgab. Auf seinem Gesicht war sogar eine Art Gönnerhaftigkeit.
    "Meinetweg'n …," rief er und lachte, "trinkt. Mein Alter hat ins
Gras gebissen! Es kommt mir nicht drauf an….!"
    Und die Gesichter um ihn zäunten sich enger, fingen zu glänzen an.
Man trank sich kameradschaftlich zu.
    "Erste Runde … wer bezahlt!" schrie der martialische Kellner und
Ordnungsmann in den Tisch.
    "Daher!" schrie Michel und griff in seine Hosentasche, zog die Scheine heraus.
    "Da gehn schon noch ein paar Runden, Michel?!" riefen mehrere.
    "Kameradschaft bleibt Kameradschaft!" bekräftigte ein anderer.
    Und Michel legte einen Hundertmarkschein auf den Tisch: "Soviel soll genug sein!"
    Der Tisch war zufrieden, wurde laut, man brachte Bier und ließ Michel leben!
    Dann stand Michel endlich auf. Einige wollten ihn noch halten, bettelten. Aber ein paar andere mischten sich ein und riefen: "Nein … richtig gesagt, sind wir zufrieden … der Michel kommt wieder!"
    Und jeder drückte Micheln die Hand.
    "Ein kreuzguter Mensch!" hörte dieser noch, als er die Tür hinter sich zuzog und seine Schritte eiliger straffte.
    Die großen Bogenlampen leuchteten schon durch den nachtdurchwobenen Nebel. Aus den Kaffeehäusern griffen die Lichter, die Straßenbahnen flimmerten, surrten und läuteten.
    Michel stieg nicht ein. Er ging zufrieden dahin und lächelte manchmal. Es schien, als wolle er noch einmal, ganz für sich allein, das
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