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Zum Nachtisch wilde Früchte

Zum Nachtisch wilde Früchte

Titel: Zum Nachtisch wilde Früchte
Autoren: Heinz G. Konsalik
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und sang. Als er einmal zurücksah, war die Erde unter ihm voll blühenden, wogenden Grases, übersät mit Blumen aller Farben. In der Ferne aber leuchtete weiß ein herrliches Gebirge, und in seinem Herzen erwachte so etwas wie die Sehnsucht eines Adlers, der sich im hellen Morgen hinausschwingt in die Lüfte und über die Berge schwebt als König zwischen Felsen und Sonne.
    »Ein Sprechchor!« schrie Major Ritter. Er hatte seine Jacke weggeworfen und rannte in Hemdsärmeln hin und her, zwischen der Polizei, die absperrte, zwischen der Feuerwehr, die Sprungtücher entfaltete, und dem Motorwagen, der brummend die lange Leiter hochschwenkte und ausfuhr. »Wir müssen ihn in einem Sprechchor rufen! Kameraden! Herhören! Im Rhythmus: Bol-ten-stern …« Ritter hob beide Arme wie ein Dirigent. »… drei … vier …«
    Einige hundert Kehlen brüllten los. Ein Donnern war es, das den kletternden Boltenstern umgab.
    »Bol-ten-stern … Bol-ten-stern …!«
    Zehnmal Boltenstern. Es hinterließ keine Wirkung. Er kletterte weiter … die Eisenstreben hinauf … dem Mittelpunkt der Achterbahn zu, auf dem eine kleine Fahne flatterte.
    »Da kommen wir mit der Leiter nicht hin!« sagte der Feuerwehrhauptmann schwitzend. »Der klettert ja kreuz und quer. Wenn man wüßte, was er will …«
    »Wenn ich das wüßte, brauchte ich Sie nicht!« schnauzte Dr. Breuninghaus. Er winkte auch Ritter zu, der noch einmal seinen Sprechchor dirigieren wollte. »Aufhören! Lassen Sie es mich versuchen!«
    Man hatte ein Mikrophon, das mit dem Lautsprecher einer Losbude verbunden war, durch Verlängerungskabel bis zu ihm gelegt. Der Verstärker war auf volle Stärke gedreht … ein Räuspern war schon ein Krachen.
    Dr. Breuninghaus hielt das Mikrophon vor die zitternden Lippen.
    »Kamerad Boltenstern!« rief er. Unter dem Gedröhn seiner Stimme schrak er zusammen. Er legte die Hand über das Mikrophon und wandte sich an die weinende Petra Erlanger. »Wenn er das nicht hört, weiß ich keinen Rat mehr«, sagte er. »Das weckt ja Tote auf!«
    »Lassen Sie mich, bitte …«, sagte Petra stockend. Sie nahm das Mikrophon und trat einen Schritt vor. Und plötzlich war es still auf dem Platz bis auf das Schnurren der ausfahrenden Feuerwehrleiter.
    »Alf …«, sagte Petra. Ihre Stimme gellte über die Achterbahn. Sogar im Zeltlager war sie deutlich zu hören, so gut war der Verstärker. »Alf! Komm herunter! Ich bitte dich – Alf … Ich rufe dich. Ich, Petra!«
    Stille.
    Boltenstern kletterte weiter. Ihm war es, als spiele ein himmlisches Orchester, und die Erzengel sangen dazu. Immer näher kam er dem Himmel, und immer weiter wurde das Land und immer schöner die ferne Felswand. Und immer mehr steigerte sich in ihm das Gefühl, ein Adler zu sein.
    »Ich kann nicht mehr …«, stammelte Petra. Das Mikrophon fiel ihr aus den Händen. »Ich kann nicht mehr …«
    General v. Rendshoff hielt sie aufrecht. Er stützte sie an seiner Seite, als halte er eine Fahne umklammert.
    »Bol-ten-stern … Bol-ten-stern …«, schrie der Sprechchor wieder. Major Ritter raufte sich die Haare und heulte wie ein geprügelter Hund. Dr. Breuninghaus beschimpfte den Feuerwehrhauptmann, er sei zu langsam.
    »Diese Lahmarschigkeit!« brüllte er. »Jetzt weiß ich auch, warum die Brandschäden so hoch sind! Ehe Sie die Leiter herausgefahren haben, brennt ein Hochhaus ab!«
    Beleidigt wandte sich der Brandmeister ab und ging zu seinem Wagen zurück. Drei Gruppen Feuerwehr rannten im Innern der Achterbahn hin und her und versuchten, die Sprungtücher auszuspannen. Es war sinnlos … wo Boltenstern kletterte, war kein Platz mehr, ihn aufzufangen, wenn er abstürzte. Außerdem würde er auf verschiedene Zwischenträger fallen und sich alle Knochen brechen.
    »Wir stehen hier herum wie die Bettnässer!« schrie Dr. Breuninghaus außer sich. »Gibt es denn keine Möglichkeit, den Mann zurückzuholen? Er hat den Verstand verloren! Sollen wir denn tatenlos zusehen? Das ist ja beschämend …«
    In den Zelten, an den Buden war nun kein Mensch mehr. Alles umstand die Achterbahn und starrte hinauf auf den kleinen Menschen, der gewandt wie ein Eichhörnchen von Gestänge zu Gestänge turnte und der Fahne auf der Spitze des Eisengerüstes zustrebte. Was der Brandmeister erkannt hatte, wurde nun ein Beweis … die Leiter erfaßte nicht den Punkt, wo die Fahne flatterte, denn sie lag in der Mitte des Gerüstes. Zwischen Leiterspitze und Fahne lag eine tote Strecke von etwa zehn
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