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Zum Morden verflucht

Zum Morden verflucht

Titel: Zum Morden verflucht
Autoren: Andrew Hathaway
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Gwendolins Hand zögernd in der Luft, dann schlugen ihre Knöchel gegen das rissige Holz. Das Klopfen dröhnte überlaut durch den stillen Korridor.
    »Ja, bitte!«
    Sie kannte die ruhige, tiefe Stimme bereits, die von drinnen antwortete. Zu Beginn der Vorlesung hatte sie Dr. Emerson im Saal 13 sprechen gehört. Sie drückte die Tür auf und blinzelte in den gemütlichen gelblichen Schein einer Schreibtischlampe. Der Mann dahinter saß im Dunkeln.
    »Kommen Sie herein, kommen Sie doch!« Die dunkle Gestalt bewegte sich nicht, aber eine gepflegte kleine Hand erschien im Lichtkreis der Lampe und winkte Gwendolin heran. »Nehmen Sie Platz, Miß, und schütten Sie mir Ihr Herz aus!«
    Gwendolin entschloß sich zu einem forschen Vorgehen. »Woher wollen Sie wissen, daß ich Sorgen habe?« fragte sie betont gleichgültig, während sie die Tür hinter sich schloß, auf den Schreibtisch zuging und sich angespannt auf den Besucherstuhl setzte.
    Aus dem Schatten hinter dem Schreibtisch ertönte ein dumpfes Lachen. Brillengläser blitzten. »Warum sollten Sie sonst zu mir kommen, Miß?« Die Lampe schien Gwendolin ins Gesicht und blendete sie. »Sie gehören nicht zu meinen Hörerinnen, ich kenne Sie nicht, also haben Sie etwas auf dem Herzen, Miß . . .«
    »Haskill, Gwendolin Haskill.« Gwendolin mußte die Augen zusammenkneifen, konnte Dr. Emerson aber noch immer nicht erkennen. »Ich komme zu Ihnen, weil ich mir Sorgen wegen meiner Schwester mache. «
    »Sehen Sie! Sorgen! « Triumph in der Stimme. Die linke Hand kam in den Lichtkreis, die Strahlen blitzten auf einem funkelnden Diamanten in einer antiken Fassung aus Rotgold. Die Finger eines Chirurgen, schoß es Gwendolin durch den Kopf. »Es geht also um Miß Jane.«
    Gwen zwang sich zu einem Nicken. »Sie hat sich so verändert, sie ist so . . .«, hart geworden, wollte sie sagen, aber etwas hielt sie zurück, ». . . so anders.«
    Ein Kichern hinter dem Schreibtisch, tonlos, beinahe wie das Hecheln eines Hundes. »Das kommt ziemlich oft vor, Miß Haskill«, sagte Dr. Emerson gleich darauf so kühl und unbeteiligt, als unterhielte er sich über das Wetter.
    »Junge Damen werden – äh – selbständig, sobald sie Collegeluft atmen.«
    »Das ist es nicht«, wehrte Gwendolin ab. Wenn sie nur das Gesicht sehen könnte! »Meine Schwester ist hart geworden, hart und grausam.«
    »Hm. « Die funkelnden Brillengläser näherten sich. Eine bleiche Scheibe zeichnete sich ab. »Ich finde nichts Schlechtes daran, wenn jemand endlich seine Hemmungen ablegt. Sind Sie anderer Meinung, Miß Haskill?«
    Dr. Emerson beugte sich weit vor. Schlagartig wurde sein Gesicht von der Schreibtischlampe beleuchtet, und Gwendolin hielt die Luft an. Sie wagte nicht zu atmen, sie bewegte sich nicht, sie konnte nur starren.
    Es war kein auffallendes Gesicht, eher das eines Dutzendmenschen um die Fünfzig, rundlich, Hängebacken, kurzsichtige Augen hinter dicken Gläsern, eine gerade, leicht verkümmerte Nase, ein schmaler Mund.
    Und doch konnte man dieses Gesicht nicht mehr vergessen, wenn man es einmal gesehen hatte. Wovon ging diese unbeschreibliche Faszination aus? Von den Augen? Dem Mund? Gwendolin war wie betäubt. Trotz Dr. Emersons freundlichem Lächeln kam sie sich vor wie das sprichwörtliche Kaninchen, das vor der Schlange sitzt.
    »Ich muß jetzt gehen, entschuldigen Sie mich«, murmelte sie scheinbar nach einer Ewigkeit und stemmte sich aus dem Stuhl hoch. »Es ist schon spät.«
    »Schade!« Dr. Emerson erhob sich ebenfalls. Er war klein, rundlich, äußerlich ganz netter, freundlicher Großvater. Aber dieses Gesicht! »Wir sehen uns bestimmt wieder, Miß Haskill.«
    »Ich glaube nicht«, erwiderte Gwendolin und zog sich zur Tür zurück, als wäre sie auf der Flucht.
    Dr. Emerson nickte, das Lächeln wie festgefroren in seinem Gesicht. »Doch, Miß Haskill, ich bin sicher, daß wir uns wiedersehen. Sehr bald!«
    Draußen auf dem Korridor begann Gwendolin zu laufen. Sie lief, bis sie an dem weißhaarigen Pförtner vorbei das Freie erreichte. Dann erst blieb sie stehen und blickte zu
    dem erleuchteten Rechteck des Fensters von Dr. Emersons Büro hinauf.
    Nein, schwor sie sich, freiwillig werde ich diesen Raum nicht mehr betreten. Aber warum denn nicht? fragte sie sich und gab sich selbst gleich die Antwort. Sie wußte es nicht. Sie wußte nur, daß die Angst sich immer tiefer in sie hineinfraß, die Angst vor etwas Unaussprechlichem, etwas Drohendem, etwas Grauenhaftem.
    In Dr. Emersons
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