Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zugriff

Zugriff

Titel: Zugriff
Autoren: E Pallay
Vom Netzwerk:
dass Hans sich als Vermittler anbot, und wollte ihn als Ersten einsetzen, obwohl inzwischen unsere bewährten Verhandlungsprofis einschließlich Polizeipsychologen eingetroffen waren. Aber bei einem so jungen Täter hoffte ich mit einer vertrauten Person mehr ausrichten zu können, und die Verhandlungsgruppe befürwortete diese Entscheidung.
    Als die Meldung einging, dass Ronny sich mit Claudia in der Mädchentoilette im Untergeschoss versteckt hatte, zogen sechs Trupps, besetzt mit jeweils vier Männern, einen Ring um die Räumlichkeiten, verteilt in Gängen und auf Treppen. Entkommen konnte Ronny nicht mehr, und die Ausgangsbasis für einen Zugriff war geschaffen. Wenn sich nichts änderte, würde vermutlich Trupp eins die Aufgabe zufallen, Ronny zu überwältigen. Sie standen der Toilette am nächsten, nur wenige Meter entfernt um eine Ecke herum. In voller Kampfausrüstung, bewaffnet mit Pistole und MP mit aufmontierten Lasern und Taschenlampen – vier Präzisionsschützen mit Zielfernrohren auf den MP s ergänzten das Aufgebot.
    Ich führte Hans, der zuvor von einem Polizeipsychologen instruiert worden war, nach unten. Wir schlichen gerade vorsichtig die Treppe hinunter, als ich merkte, dass uns einer aus der Verhandlungsgruppe folgte. Einfach so, aus purer Neugier oder aus dem Bedürfnis heraus, einmal unmittelbar vor Ort zu sein. Ein Neuer, wie sich herausstellte, der sich offenbar mit den Abläufen bei einem Einsatz noch nicht auskannte. Dementsprechend verwundert schaute er mich an, als ich ihn zurückschickte. Ich schüttelte den Kopf: Eigentlich sollte einem allein der gesunde Menschenverstand sagen, dass man nicht nach Lust und Laune an einem Tatort herumspazieren konnte.
    Dann kamen wir vor den Toiletten an. » Ronny, ich bin’s, der Hans. Mach keinen Scheiß und komm raus. Noch ist es nicht zu spät. Lass das Mädchen frei. Gib auf, es macht doch keinen Sinn!« Zur Antwort hörten wir ein aggressives Nein und waren fast glücklich, als er wenig später zwei Schachteln Zigaretten forderte. Innerhalb von zehn Minuten. Ganz kurz sahen wir ihn durch die geöffnete Tür mit der Pistole in der Hand und dem Finger am Abzug. Einer unserer Präzisionsschützen meinte, durch sein Zielfernrohr eine Walther PPK 7,65 mm erkannt zu haben. Es war unheimlich dort unten im Keller: Diffuses Licht erzeugte eine gespenstische Atmosphäre, die vom hohlen Widerhall der Stimmen und Schritte noch verstärkt wurde.
    Als es Zeit war für die Übergabe der Zigaretten, gab der Einsatzleiter den Zugriff » bei günstiger Gelegenheit« frei. Was bedeutete, dass wir zuschlagen durften, sofern Ronny die Zigaretten entgegennahm, ohne gleichzeitig Claudia die Pistole an den Kopf zu halten. Eine » heiße Kiste« nennt man das im Fachjargon. Aber ganz ohne Restrisiko lief so gut wie nichts, wenn man es mit bewaffneten Tätern zu tun hatte.
    » Ronny, ich bin’s wieder, der Hans.« Unser Vermittler startete einen neuen Versuch. » Ich schmeiß jetzt die Zigaretten vor die Tür. Lass das Mädchen frei!« Keine Reaktion, bloß ein leises Wimmern, das angstvoll klang. Was würde jetzt passieren? Kam Ronny heraus, holte sich die Zigarettenpackungen, die etwa zwei Meter entfernt lagen? Falls er dabei allerdings seine Geisel mitschleppte, nutzte uns das alles nichts. Dann konnten wir nicht zugreifen.
    Ich spürte die Anspannung meiner Leute, die sprungbereit hinter der Ecke lauerten. Sie würden genau nach Plan vorgehen, jeder wusste, wo er zupacken musste, um Ronny zu überwältigen. Wir alle hofften sehr, dass es nicht zum Äußersten kommen musste – dem finalen Rettungsschuss. Das taten wir zwar immer, doch hier, bei diesem jungen Täter, wäre es wirklich eine schreckliche Entscheidung für uns gewesen.
    Wir warteten und warteten, ohne dass etwas geschah. Die Zeit verrann, und unberührt lagen die Zigaretten da. Wieso kam der Bursche nicht heraus? Unsere Nerven waren zum Zerreißen gespannt, denn keinen Kontakt zum Täter zu haben, das war schlecht, ganz schlecht. Wir hatten nicht den geringsten Anhaltspunkt mehr, was in seinem Kopf vorging. Fürchteten ständig, er könnte gerade durchdrehen. Es war zum Verrücktwerden. Unsere Sorgen wurden verstärkt durch eine Nachricht von der Kripo, dass der Junge in der Drogenszene kein Unbekannter sei. Die Tabletten, die er in seinen Kaffee geworfen hatte, fielen uns siedend heiß ein. Wir mussten und wollten dieses Drama beenden. Bald.
    Nur wie? Inzwischen waren über sechs Stunden vergangen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher