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Titel: Zugriff
Autoren: E Pallay
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und sämtliche Annäherungsversuche an Ronny letztlich gescheitert. Eine Verhandlungslösung schien damit kaum noch möglich. Stattdessen setzten wir jetzt auf ein Ablenkungsmanöver mit Überraschungsangriff. Ronny sollte davon überzeugt werden, dass Claudia dringend Hilfe brauchte, und einen Rettungssanitäter in die Toilettenräume lassen. Wir pokerten dabei mit seinen Gefühlen, die er trotz allem für die Exfreundin hegte, und hofften, dass die Rechnung aufging.
    Hans übernahm es, den Jungen zu überreden. Er hatte zuvor mit der Verhandlungsgruppe abgesprochen, was er sagen sollte. Und dass er beruhigend und gedämpft reden musste. Er machte seine Sache wirklich gut. » Ronny, hörst du mich? Ich bin’s, der Hans. Die Claudia ist krank, sie braucht Hilfe. Wir hören sie weinen. Ich schick dir einen Sanitäter. Der kann helfen und ihr eine Spritze geben. Lass ihn zu Claudia, sonst packt sie das nicht.«
    Wir hatten Glück. Der junge Mann zeigte sich plötzlich einsichtig, akzeptierte Hilfe. Allerdings nur eine einzige Person. Unser Kollege, der zugleich als Rettungssanitäter ausgebildet war, stand schon bereit. Endlich spielten wir wieder einen aktiven Part, reagierten nicht nur. Vorbei die zermürbende Untätigkeit und das Warten wider Willen. Die Funkverbindung stand, Zugriffsteams und Präzisionsschützen wurden noch einmal kontaktiert: Alles in Ordnung bei euch? Dann eine letzte Absprache mit dem Sanitäter, eine kurze Ermunterung. Wir schlugen die Hände gegeneinander, bei uns ein Zeichen grundlegenden Vertrauens zu dem anderen. Nur so konnte man in eine solche Situation hineingehen.
    Alle meldeten ihr Okay: » Positiv!« Man durfte jetzt nicht daran denken, was wäre wenn, obwohl jeder Einzelne von uns wusste, dass trotz aller Umsicht immer etwas schiefgehen konnte. Aber solche Überlegungen in den Vordergrund zu stellen bedeutete letztlich, auf einen Einsatz zu verzichten, untätig zu bleiben und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Und das Leben der Geisel weiter zu gefährden. Das entsprach nicht unserer Aufgabe und nicht unserem Selbstverständnis. Wir bauten auf den Überraschungseffekt und darauf, dass wir genau für solch schwierige Einsätze bestens gerüstet waren. Wir fühlten uns auf der sicheren Seite.
    Hans stellte zum letzten Mal den Kontakt her: » Der Sanitäter kommt jetzt, um dem Mädchen zu helfen«, rief er. » Er wird Claudias Blutdruck messen und gegebenenfalls ein Medikament verabreichen. Dann geht er wieder.« Keine Antwort. Jetzt versuchte es unser Sanitäter selbst: » Ronny, ich bin’s, der Sanitäter. Ich komm zu dir.« Ohne auf eine Reaktion zu warten, bewegte sich unser Mann Richtung Mädchentoilette, in der Hand einen Sanitätskoffer. Die Tür stand offen. Zu sehen war niemand. Ob der Kollege bereits mehr sah, wussten wir nicht. » Ronny, ich bin da, um bei der Claudia den Blutdruck zu messen. Dann sehen wir weiter. Ronny, mach keinen Scheiß, lass mich rein!«
    Wir verfolgten jeden seiner Schritte, jede seiner Bewegungen voll gespannter Aufmerksamkeit. Er kniete nieder, öffnete den Koffer und holte das Blutdruckmessgerät heraus, wirkte sehr nervös. Wir erkannten es daran, dass er fahrig den Gummischlauch auseinanderzerrte. Bei mir stellten sich bei diesem Anblick plötzlich die Haare auf, und ich spürte eine gewaltige Anspannung. Manchmal war es schwerer, zuschauen zu müssen, als mittendrin zu sein.
    Ich beobachtete, wie unser Sani aufstand und die Toilette betrat, aus unserem Blickfeld entschwand. Was würde als Nächstes geschehen? Vielleicht zwei Sekunden hörten und sahen wir nichts. Totenstille und dann laute Schreie: » Zugriff, Zugriff!«
    Seit Stunden hatten sie nur darauf gewartet, die Männer von Trupp eins. Jetzt sprangen sie aus ihrer Deckung hinter der Ecke hervor, stürmten in die Toilette, und noch bevor wir draußen zum Nachdenken kamen, hörten wir die befreiende Vollzugsmeldung: » Täter festgenommen, Geisel befreit!«
    Erleichtert rannte ich von meinem Beobachtungsposten neben einem Präzisionsschützen die Treppenstufen hinunter und beglückwünschte meine Leute. Der inzwischen herbeigeeilte Einsatzleiter klopfte ihnen ebenfalls anerkennend auf die Schulter und bedankte sich bei mir mit Handschlag. Jetzt endlich löste sich die Anspannung. Niemand war zu Schaden gekommen, Grund zu ungetrübter Freude also.
    Was sich in der Toilette genau zugetragen hatte, berichtete uns der Sanitäter. Während er scheinbar bloß Claudias Blutdruck messen wollte,
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