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Zug der Traeume

Zug der Traeume

Titel: Zug der Traeume
Autoren: Ruthie Knox
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ich je von ihm gedacht habe. Noch einmal.
    Er ist sieben Jahre jünger als du, arbeitet nur in Teilzeit und lebt in einer selbst geschaffenen Fantasiewelt. Er kann mit der »Verantwortung« einer Beziehung im echten Leben »nicht umgehen«. Das ist nicht dein Problem und auch nicht deine Schuld.
    Ich bin nicht sicher, ob ich es bin, die das denkt. Es könnte auch Lisa sein. Sie ist ein Fan von Luftgänsefüßchen. Aber wer es auch immer ist, ich bin ihr dankbar, denn sie holt mich aus dem Büro raus, bevor ich anfange zu weinen.

6
    Trotzdem gehe ich noch zu einem Date mit ihm.
    Ich weiß.
    Aber zu meiner Verteidigung: Ich bin sehenden Auges hingegangen. Im Büro hatte ich mich nicht richtig von Tyler verabschiedet, sondern bin einfach nur weggerannt.
    Heute Abend werde ich Abschied von ihm nehmen – all den verschiedenen Männern Lebewohl sagen, die er für mich war, und dem warmen Glühen des Glücks, das er in meinem Körper entfacht. Das hätte ich nicht in seinem Büro gekonnt. Ich kann es nur hier im Zug.
    Diesmal spiele ich nicht mit. In seiner SMS stand, dass es 1911 sein wird und ich mich mit ihm im Schneepflugzug treffen soll, doch ich bin in Jeans und einer Flanelljacke mit Schottenmuster gekommen und stecke nur den Kopf in den Schneepflugzug, um einen Blick auf ihn zu werfen. Er ist dick in einen Caban, Wollmütze und einen selbst gestrickten, gestreiften Schal eingemummelt. Absolut Arbeiterklasse, wenn auch nicht so schmutzig wie in jener Nacht in der Big Boy.
    Jene Nacht. Sie passt nicht zu meiner neuen Wahrnehmung von ihm. Irgendetwas stimmte da nicht mit ihm, er spielte nicht, aber wenn es eine Gelegenheit war, unserer Beziehung einen Weg zu mehr Tiefe, zu etwas Neuem zu ebnen, hat er sie nicht wahrgenommen.
    Ich sehe ihn an, als wäre er nichts als ein weiteres Ausstellungsstück, und dann schlendere ich davon. Ich fahre mit den Händen über die riesigen Räder der Big Boy, tippe mit den Fingernägeln auf das Schild, das alle Stellräder, Knöpfe und Hebel im Heizraum benennt. Ich klettere eine Rampe hinauf, um den Blick flüchtig über die blanken Fensterscheiben des Eisenhower gleiten zu lassen. Ich spaziere durch die Innenausstellung, das Kino, den Souvenirladen. Ich gehe nach draußen, bewusst, dass sich die Eingangstür hinter mir schließen wird. Ich bin nicht sicher, ob mir egal ist, ob er mir folgt oder nicht, bis ich seine Schritte höre und es weiß – und weiß, dass ich es mir gewünscht habe.
    Ich laufe bis ans andere Ende des Geländes und klettere auf den Aussichtsturm. Dutzende von Stufen führen in die Nacht hinauf. Oben angekommen ein Blick auf diese kleine, hässliche Stadt, die ich adoptiert habe. Der breite Einschnitt des Flusses. Neben mir ein Mann, den ich nicht kenne, nicht wirklich. Ein Mann, der mich nicht kennen will.
    Wir treffen uns jetzt schon seit einem Jahr. Am Anfang dachte ich, er kenne ein Geheimnis und bringe es mir bei – dass er mir zeigen könnte, wie man eine neue Rolle annimmt und sie ausfüllt. Vor zwölf Monaten brauchte ich das. Ich war verloren, abgedriftet, irgendwo zwischen meinem alten und meinem neuen Leben. Die Kleider, das Make-up, das Umwerben, der Sex – all das hat mir geholfen. Das Neue an ihm, jedes Mal, und der Trost der Anziehung, des Flirts, der Neckereien.
    Komisch, dass er sich unter anderem nicht auf mich einlassen will, weil ich eine Mutter bin. So interpretiere ich zumindest das, was er zu mir gesagt hat. Ich kann nicht sicher sein, dass er es so gemeint hat. Er war nicht gerade ausschweifend. Komisch ist es, weil er es war, der mir einen Weg durch das Labyrinth der Mutterschaft gezeigt hat. Er war es, der mir geholfen hat zu erkennen, dass ich noch mittendrin war, darin verstrickt und orientierungslos. Er war es, der mich herausgeführt hat.
    Er steht neben mir am Geländer.
    »Zieh deinen Mantel aus!«, sage ich zu ihm.
    Ich ziehe ihn ihm selbst aus. Er steht still und beobachtet mich, während ich den Mantel aufknöpfe und ihm über Schultern und Arme hinunterstreife. Ich befreie ihn von seinem Schal. Knöpfe auch das Hemd auf, das er darunter trägt, und mache weiter, bis er von der Taille an aufwärts nackt in der kalten Oktoberluft steht, übersät mit Gänsehaut. Mit fragendem Blick, aber geduldig.
    Ich bin nicht sicher, was ich vorhabe. Ich schätze, ich will ihn noch ein letztes Mal ohne Kostüm sehen.
    Meine Hände gleiten über seine Schultern, meine Daumen balancieren auf der Erhebung seiner Schlüsselbeine. Sein Bizeps,
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