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Zuckerguss (German Edition)

Zuckerguss (German Edition)

Titel: Zuckerguss (German Edition)
Autoren: Anica Schriever
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Spielraum zu«, erinnere ich ihn schmunzelnd. »Glaubst du nicht daran, dass man sich innerhalb von drei Tagen ineinander verlieben kann?«
    Er schüttelt fassungslos den Kopf. Es ist offensichtlich, dass er an meinem Geisteszustand zweifelt. »Das ist kompletter Schwachsinn!«
    »Heißt das, du machst mit?«, frage ich, der Drang loszuquietschen ist beinahe übermächtig.
    »Habe ich eine andere Wahl?«, seufzt Moritz ergeben. Ich falle ihm um den Hals und drücke ihm einen dicken Schmatzer auf die frisch rasierte Wange.
    »Dafür schuldest du mir was!«
    »Jaha«, antworte ich entnervt, obwohl mir tausend Mühlensteine vom Herzen fallen. Ich muss nicht alleine in die Höhle des Löwen. Halleluja.
    »Ich gehe recherchieren.«
    Hä? Fragend blicke ich Moritz an.
    »Internet«, hilft er mir auf die Sprünge.
    Ich verstehe nur Bahnhof. »Du willst googeln, wie man der Familie am besten eine Schmierenkomödie vorspielt?«, frage ich leicht dümmlich.
    Moritz stöhnt. »Wie man ihr am überzeugendsten verklickert, dass man ineinander verliebt ist. Dafür gibt es bestimmt eine Seite. ›Zehn Dinge, woran Ihre Umgebung erkennt, dass Sie verliebt sind‹, vielleicht.«
    »Ich könnte dir meine Frauenzeitschriften borgen«, gackere ich. Ich hoffe wirklich, dass er sich einen Scherz mit mir erlaubt.
    Moritz blickt mich streng an. »Du musst das schon ein wenig ernst nehmen, Schatz !«
    Oha.

2
    Auf dem Bahnhofsgelände in Wismar geht es zu wie in einem Bienenstock. Ein heilloses Durcheinander aus Koffern, Menschen und einem bemüht ruhig aussehenden Schaffner, der die bunte Menge wie ein Verkehrspolizist zu koordinieren versucht.
    Es ist Freitagnachmittag. Kurz nach drei Uhr. Die Sonne scheint von einem strahlend blauen Junihimmel auf mich herab. Postkartenwetter. Regen wäre mir lieber. Würde ohnehin besser zu meiner Stimmung passen. Aber nicht mal auf Petrus kann man sich heutzutage verlassen.
    Nach Abfahrt des Zuges von Gleis 1 in Richtung Ludwigsfelde leert sich der Bahnsteig rasant. Wo eben noch das Leben pulsierte, herrscht nun gähnende Langeweile. Einsam und verlassen stehe ich da, den Koffer in der einen Hand, meine Sonnenbrille in der anderen, und gönne mir den wohlverdienten tiefen Seufzer.
    Welcome home!
    Zum wiederholten Male frage ich mich, was ich eigentlich hier mache. Bin ich denn von allen guten Geistern verlassen? Wie konnte ich mich bloß von meiner Schwester bequatschen lassen, nach Jahren wieder in meine Heimatstadt zurückzukehren? Das muss unweigerlich in einer Katastrophe enden. Nicht umsonst habe ich mir geschworen, nie wieder einen Fuß hierher zu setzen. Wismar und ich, das verhält sich wie Schwefelsäure mit Wasser. Knall. Puff. Peng.
    Mit dem Trolley im Schlepptau steuere ich auf den Ausgang zu. Meine ohnehin schlechte Laune sinkt mit jedem Schritt. Diese ganze Reise ist eine einzige Lachnummer! Noch gestern früh war keine Rede davon, dass ich mutterseelenallein und mit der Bahn nach Wismar reisen würde. Moritz hatte eingewilligt, uns mit seinem Panda an die Ostsee zu kutschieren. Ganz gentlemanlike. Dazu kam es jedoch gar nicht erst, denn der Volltrottel hat sich bei bizarren Sexspielchen mit seinem neuesten Betthäschen den Knöchel verstaucht. Statt mit mir nach Wismar zu fahren, tuckerte ich mit ihm heute Nacht um drei Uhr in die Notaufnahme. Was bereits schlimm genug war (meine Augenränder sprechen Bände!), doch auf dem Weg dorthin wollte mir mein Lieblingsmitbewohner äußerst anschaulich erklären, wie es genau zu diesem artistischen Zwischenfall kam. Ich hielt mir sicherheitshalber die Ohren zu, ich muss das echt nicht wissen! Das anzügliche Grinsen des Taxifahrers genügte vollkommen.
    Zuerst habe ich überlegt, Eva anzurufen und meinen Besuch abzublasen. Den Telefonhörer hatte ich bereits in der Hand, aber dann verließ mich der Mut. Eva hätte mit Sicherheit nachgehakt. Und die Wahrheit konnte ich ihr schlecht sagen. Am Telefon schon dreimal nicht. Meine Schwester hätte mich gevierteilt. Mindestens. Was mich zu meinem Ausgangsproblem zurückbringt: Woher zaubere ich nach Moritz’ Ausfall auf die Schnelle einen passenden Ersatz-Schwiegersohn?
    Mal ganz realistisch betrachtet: Ich spreche von Wismar – das 45 000-Seelen-Kaff in Mecklenburg-Vorpommern ist nicht gerade berühmt für seine tolle Männerauswahl. Interessante Männer unter vierzig halten sich leider nicht in der Provinz auf, sondern in Großstädten wie Hamburg und Berlin. In Wismar einen halbwegs anständigen
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