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Zu zweit tut das Herz nur halb so weh

Zu zweit tut das Herz nur halb so weh

Titel: Zu zweit tut das Herz nur halb so weh
Autoren: Julie Kibler
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kaum noch Schwarze in der Gegend lebten. Auch
in Texas hätte ich mich in manchen Städten nachts nicht sicher gefühlt.
    Wir fuhren weiter zu einem großen, hügeligen Friedhof. Hier kannte
Miss Isabelle sich aus. Sie lotste mich zu einem abgelegenen Winkel und deutete
vom Wagen aus auf einen verwitterten Grabstein, dessen Inschrift ich nicht
entziffern konnte.
    Â»Da liegt Tante Bertie«, erklärte Miss Isabelle. »Ich bin Mutter als
Mädchen heimlich gefolgt. Deswegen weiß ich, wo sie begraben ist. Ich habe mich
hinter einem Baum versteckt und sie beobachtet. Meine Mutter hat an diesem Grab
geweint. Es war das einzige Mal, dass ich sie habe weinen sehen.«
    Wir stellten den Wagen ab, und sie zeigte mir das Familiengrab der
McAllisters.
    Â»Hilfst du mir, Dorrie?«
    Das Aussteigen fiel ihr von Mal zu Mal schwerer. Bisher hatte sie
den Stock nicht benutzen wollen, den sie dabeihatte, aber jetzt sollte ich ihn
ihr geben. Die Namen von ihrer Mutter, ihrem Vater, von Jack und seiner Frau
standen auf flachen, schiefen Steinen.
    Miss Isabelle schnalzte mit der Zunge. »Mutter hat sich immer für
was Besseres gehalten, und jetzt … Sieh dir die Gräber an: Niemand kümmert sich
um sie.« Kurz darauf flüsterte sie mit Tränen in den Augen: »Danke, Daddy.
Danke, dass du meinem kleinen Mädchen geholfen hast.«
    Auch ich war den Tränen nahe.
    Anschließend machten wir uns auf den Weg nach Hause. Wir legten nur
kurze Pausen ein. Teilnahmslos blätterte Miss Isabelle in ihrem
Kreuzworträtselheft, wenn ich sie bat, mir Fragen daraus zu stellen, damit ich
wach blieb.
    Irgendwo in der Gegend von Memphis erzählte sie mir schließlich, was
nach der Geburt von Dane passiert war. Das Unternehmen, in dem Max arbeitete,
hatte expandiert, er war befördert worden und hatte eine Gehaltserhöhung
bekommen, die allerdings an einen Umzug nach Texas gekoppelt war. Miss Isabelle
war es mehr als recht gewesen, von dem Ort wegzukommen, wo alles sie an die
Vergangenheit erinnerte.
    In Texas traf sich Max kurz nach dem Umzug zwei- oder dreimal mit
einer Frau, die er von einer Feier im Büro kannte. Miss Isabelle hatte ihm
keine Vorwürfe gemacht, weil sie ihn mit Robert betrogen hatte. Max machte
Schluss mit der Frau, als er merkte, dass sich nichts änderte. Er hatte bloß
die Aufmerksamkeit von Miss Isabelle gewollt. Danach verlief das Leben für sie
bis auf die Zeit, in der Dane nach Vietnam musste und unverletzt zurückkam,
ohne Höhen und Tiefen.
    Â»Und die großen Dinge, die Sie als junge Frau vollbringen wollten,
Miss Isabelle? Was ist aus denen geworden?«
    Â»Nichts. Ich habe nur versucht, eine gute Ehefrau und Mutter zu
sein.«
    Wir unterhielten uns über die Gegend im östlichen Fort Worth, wo sie
gewohnt hatten. Früher war Poly Heights ein ordentliches Viertel gewesen, wurde
jedoch zunehmend vernachlässigt, als Farbige hinzuzogen. Isabelle und Max
blieben, während die anderen Weißen flohen. Sie arbeitete ehrenamtlich in der
Nachbarschaft, gab Nachhilfe, half Kindern und Erwachsenen beim Ausfüllen von
Anträgen für Bibliotheksausweise und brachte die Leute dazu, sich in die
Wählerlisten eintragen zu lassen. Sie unterstützte Gruppen, die die
Schulbehörden drängten, sich stärker um Rassenintegration zu bemühen. Die
meisten Schulen hielten die Rassen aufgrund von Bezirksgrenzen auch dann noch
getrennt, als die Einschreibevorschriften sich änderten.
    Miss Isabelle hatte in ihrem eigenen kleinen Rahmen eine ganze Menge
bewegt. Ich kannte das Viertel, in dem sie und ihr Mann gelebt hatten, bis Max
in den Ruhestand ging und sie in das kleinere Vororthaus zogen, in dem ich ihr
inzwischen die Haare frisierte. In Poly Heights, wo fast nur alte Leute
wohnten, wechselten die Weißen die Straßenseite, sobald ein dunkles Gesicht
auftauchte.
    Max war mit fast achtzig friedlich eingeschlafen. Dane war nach
Hawaii gegangen und hatte dort gelebt und gearbeitet, bis er an Krebs starb. Er
hatte eine Frau und Kinder hinterlassen, die Miss Isabelle zu seinen Lebzeiten
selten sah und nach seinem Tod, als seine Frau wieder heiratete, noch seltener
zu Gesicht bekam. Sie schickten ihr zum Geburtstag und an Weihnachten eine
Karte und riefen kaum je an.
    Â»Heutzutage ist es schwierig, Beziehungen über weite Distanzen
aufrechtzuerhalten«, meinte sie. »Besonders, wenn sie von Anfang an nicht so
eng
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