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Zu zweit tut das Herz nur halb so weh

Zu zweit tut das Herz nur halb so weh

Titel: Zu zweit tut das Herz nur halb so weh
Autoren: Julie Kibler
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mal wieder zu besonderen Terminen ihrer
Kinder mitgenommen. Ihr Vater vergisst ja meistens, dort zu erscheinen. Normalerweise
ist auch Dorries Mutter dabei, und wir unterhalten uns nett, aber sie mustert
mich stets neugierig, als könnte sie nicht verstehen, wieso Dorrie und ich befreundet
sind.
    Und tatsächlich gibt es noch so vieles, was Dorrie nicht weiß.
Dinge, die niemand ahnt. Wenn ich überhaupt jemandem davon erzählen würde, dann
Dorrie. Ich glaube, es wird allmählich Zeit dafür. Sie würde sich über mich und
die Ereignisse kein Urteil erlauben.
    Deshalb bitte ich sie jetzt, mich von Texas nach Cincinnati zu
chauffieren, durchs halbe Land. Ich gebe ungern zu, dass ich das nicht allein
schaffe, obwohl ich das meiste in meinem Leben allein bewerkstelligt habe.
    Aber das? Nein; das schaffe ich nicht allein. Und ich will es auch
nicht. Ich brauche meine Tochter; ich brauche Dorrie.

ZWEI
    DORRIE, GEGENWART
    Bei unserer ersten Begegnung war Miss Isabelle ganz schön
mürrisch, aber nicht wegen meiner Hautfarbe. Auf den Gedanken wäre ich gar
nicht gekommen. Immerhin mache ich den Job schon eine ganze Weile, und das kann
ich an den Gesichtern meiner Kundinnen ablesen. Es war auf den ersten Blick
klar, dass Miss Isabelle andere Sorgen als meine Hautfarbe hatte. So gut sie
für eine Achtzigjährige auch aussah: Hinter ihrer hübschen Aufmachung lauerte
ein dunkles Geheimnis, das dafür sorgte, dass sie nicht gerade eine sanfte Frau
war. Ich fragte sie nicht danach, weil ich in meinem Metier gelernt habe, dass
Menschen schon reden, wenn sie so weit sind. Im Lauf der Jahre wurde sie viel
mehr als eine Kundin. Laut hätte ich das natürlich nicht gesagt, aber sie war
für mich eher eine Mutter als meine leibliche.
    Dennoch überraschte mich Miss Isabelles Bitte. Natürlich hatte ich
ihr hin und wieder geholfen, Sachen für sie besorgt, sie zu Terminen gefahren
oder kleine Reparaturen an ihrem Haus ausgeführt. Ich habe nie Geld dafür
angenommen, denn ich erledigte diese Dinge gerne für sie.
    Aber das? Das war etwas anderes. Sie hatte mir kein Geld dafür
angeboten. Ohne Zweifel würde sie mich bezahlen, wenn ich sie danach fragen
würde, aber ich hatte das Gefühl, dies sei nicht einfach nur ein Job – sie von
Arlington nach Cincinnati zu chauffieren. Nein, sie wollte mich unbedingt
dabeihaben, mich, das war mir klar.
    Als sie mit ihrer Bitte herausrückte, legte ich meine Hände auf ihre
Schultern. »Miss Isabelle, ich weiß nicht recht. Sind Sie sich sicher? Warum
ausgerechnet ich?« Fünf Jahre zuvor war sie schlimm gestürzt, der Arzt hatte
ihr das Fahren verboten, also mache ich ihr seitdem die Haare bei ihr zu Hause – ich hab sie nicht im Stich gelassen, bloß weil sie nicht mehr zu mir kommen
kann. Außerdem fühle ich mich ihr verbunden.
    Sie musterte mich in dem Spiegel über ihrer altmodischen Kommode,
jeden Montagmorgen die Behelfsfrisierstation. Und in ihre silberblauen Augen
traten Tränen, etwas, das ich in all den Jahren noch nie bei ihr erlebt habe.
Ich war unschlüssig, ob ich meine Hände wegziehen oder ihre Schultern fester
drücken sollte. Schließlich war sie sonst immer so stark.
    Mit feuchten Augen langte sie nach dem winzigen Silberfingerhut auf
der Frisierkommode. Er stand dort immer, aber ich hatte das Ding nie für
wichtig gehalten, war ja bloß ein Fingerhut. »So sicher wie noch nie.« Sie
umklammerte den Fingerhut fest, und in diesem Moment verstand ich, dass dieses
Ding, sei es auch noch so winzig, eine Geschichte erzählte. »Und jetzt mach mir
die Haare, Dorrie, damit wir alles Weitere besprechen können.«
    Jeder andere hätte sie als herrisch empfunden, aber ich wusste, sie
meinte es nicht so. Stattdessen gab mir das die Gelegenheit, meine Hände von
ihren Schultern zu nehmen.
    Als ich später im Laden meinen Terminkalender durchblätterte,
entdeckte ich eine Menge Lücken. Es war gerade eine ruhige Zeit: keine schicken
Frisuren für die Ferien, den Schülerball oder Familientreffen; die kamen erst
in ein oder zwei Monaten. Nur Alltagsgeschäft. Männer zum Stutzen oder Färben
des Schnurrbarts, Frauen zum Nachschneiden des Ponys – das mache ich gratis,
damit sie nicht selbst daran herumschnipseln –, ein hübscher Bubikopf für die
Mädchen zu Ostern.
    Die Männer konnte ich vertrösten, denn die waren froh, wenn
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