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Zu Staub Und Asche

Zu Staub Und Asche

Titel: Zu Staub Und Asche
Autoren: Martin Edwards
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halte mit Müh und Not den Kopf über Wasser.«
    Der Raum, in dem die Party stattfand, war zur Seeseite hin komplett verglast, aber trotz zurückgezogener Vorhänge und des mit elektronischen Raffinessen ausgeleuchteten, terrassenförmig angelegten Gartens war das Wasser in der Dunkelheit nicht zu sehen. Stuart Waggs Haus trug zwar einen nostalgischen Namen, prunkte aber stolz im modernistischen Design des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Es sah aus wie ein in den Hügel eingelassener Bunker, war aus Holz und traditionellem Bruchstein erbaut und besaß ein begrüntes Dach. Da Stuart selbst fast eins fünfundneunzig maß, hatte er Wert darauf gelegt, dass große Menschen sich in seinem Heim wohlfühlten. Die Sessel waren überdimensioniert, und sogar das Waschbecken in der Gästetoilette hing höher als üblich. Die Räume wurden nicht durch Türen, sondern durch Torbögen voneinander getrennt, und das verlieh dem Haus eine schier endlose Weitläufigkeit. Vor einem halben Jahr hatte die Immobilienbeilage der Zeitung The Independent ausführlich über Waggs Haus berichtet. Hannah erinnerte sich, wie die Journalistin über die weißen Wände, das massive Rüsterparkett und die luxuriöse Stoffdekoration in Verzückung geraten und vor allem angesichts der grünen Überwurfe aus Seide und Wildleder für die beiden L-förmigen Sofas fast dahingeschmolzen war. Hannah, die Wochen damit verbracht hatte, Einrichtungszeitschriften nach bezahlbaren Lösungen für hübsches Design zu durchforsten, erkannte inzwischen sofort, wenn jemand keine Kosten gescheut hatte.
    »Wie ich sehe, hat die Wirtschaftskrise den juristischen Berufen bisher nichts anhaben können.«
    Seine dunklen Augenbrauen schnellten nach oben. »Man muss den Schein zu wahren verstehen.«
    Stuart Wagg war schlank und fit. Hannah hatte gehört, dass er, wenn er nicht gerade auf der Suche nach seltenen Büchern für seine Sammlung war, in seiner Freizeit gern allein durch die Berge wanderte. Der Kragen seines schwarzen Polohemdes stand offen, er trug eine weiße Hose und war barfuß. Ein Jurist ohne Socken und Schuhe? Doch Stuart war keiner der landläufigen Anwälte im Lake District, die sich mit Eigentumsübertragungen oder nachbarlichen Grundstücksstreitigkeiten plagten - Stuart arbeitete für Millionäre, setzte Testamente auf und rief Treuhändergesellschaften ins Leben, um die Vermögen seiner Mandanten vor den Klauen der Steuerbehörden zu retten. Unter seinen Klienten waren Manager von Sportlern ebenso wie Popmusikproduzenten, und er speiste öfter mit Medienmogulen im Ivy in London, als dass er die Cafeteria gegenüber des Hauptsitzes seiner Kanzlei in Bowness aufsuchte. Er mied die Menschenmassen der Gerichte, es sei denn, er tat irgendeinem Star einen besonderen Gefallen und vertrat ihn, um den Entzug der Fahrerlaubnis wegen zu schnellen Fahrens abzuwenden - meist war der entsprechende Star in solchen Fällen mit seinem Ferrari in Formel-Eins-Manier über die A591 gebraust.
    »Ach wirklich?«
    »Aber natürlich! Wir alle legen doch Wert auf das Erscheinungsbild, das wir anderen von uns präsentieren. Das, was sich unter der Oberfläche verbirgt, ist allerdings weitaus interessanter, finden Sie nicht?«
    Er hielt ihren Blick fest, als wollte er sie herausfordern zu erraten, was gerade in seinem Kopf vorging. Doch das wollte Hannah lieber nicht wissen. Ringsherum standen Leute und unterhielten sich in ziemlicher Lautstärke. Stuart war ein besonders großzügiger Gastgeber, und der reichlich vorhandene Veuve Clicquot begann, die Zungen zu lockern. Da die Heizung auf vollen Touren lief, sorgten die dicht gedrängten Menschenkörper zusätzlich dafür, dass selbst dieser luftige Raum allmählich stickig und brütend heiß wurde. Hannahs Kopf schmerzte wegen des Lärms und Sauerstoffmangels. Marc schien sich nicht von einer jungen Rothaarigen losreißen zu können, die neben Getränken auch Kanapees und großzügige Ausblicke auf nackte, gebräunte Haut anbot.
    Stuarts Blick ruhte auf einer dunkelhaarigen Frau in der Menge. Sie unterhielt sich mit einem großen, hageren Mann in einem weißen Leinenanzug. Beide kamen Hannah bekannt vor. Das Foto des Mannes war durch die Lokalpresse gegangen, nachdem er Mitglied der Cumbria Culture Company geworden war. Stuart Waggs Kanzlei hatte seine Wahl zum künstlerischen Leiter eines Literaturfestivals zur Unterstützung Krebskranker finanziell gefördert. Stuart gefiel sich in der Rolle des Kunst-Mäzens und Wohltäters.
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