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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort
Autoren: Lutz van Dijk
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Gelegenheit zum Flüchten ist vorbei. Im Zug ist jemand vom Jüdischen Rat, der mich sprechen will. Ich bitte ihn, alles zu tun, um unsere Direktorin, eine Frau von 68 Jahren, rauszuholen. Aber das glückt nicht. Abends um 8 Uhr fährt der Zug ab und von den 103 Kindern, die morgens im Waisenhaus waren, gehen noch 63 mit nach Westerbork. Zusammen mit dem Personal besteht unsere Gruppe aus 70 Personen...«
    Von diesen Kindern sind die meisten, auch die Direktorin Rebecca Frank, in den Vernichtungslagern der Nazis ermordet worden.
    15 Im Neubauviertel am Merwedeplein 37 (2. Stock links) wohnte Anne Frank mit ihrer Schwester Margot und ihren Eltern von Ende 1933 bis zum Juli 1942, als die Familie ins Versteck im Hinterhaus an der Prinsengracht 263 ging. Als Cilly, damals 16 Jahre, im Februar 1943 in die Niersstraat zog, war Anne Frank bereits untergetaucht.
    16 Jakov hieß eigentlich Heinz Landwirth, war 1927 in Wien geboren, 1938 wie Cilly in die Niederlande gekommen und nannte sich hier Jakov. Sein späterer Untertauchname
wurde ›Jan Gerrit Overbeek‹. Er träumte bereits damals davon, Schriftsteller zu werden. Er veröffentlichte nach dem Krieg zunächst in Palästina/Israel und ab 1963 in England unter dem Künstlernamen Jakov Lind mehrere Bücher, die zum Teil auch ins Deutsche übersetzt wurden. Er beschreibt seine Erinnerungen an die erste Liebe in seinem Buch ›Selbstporträt‹ (siehe Literaturliste) anders als Cilly. Auch erinnert er sich nicht mehr, solche Briefe, wie die hier und im Folgenden zitierten, jemals geschrieben zu haben. Cilly hat sie bis heute aufgehoben.
    17 Bis 1993 war der Name des ehemaligen SS-Mannes Alfons Zündler weitgehend unbekannt. Erst durch einen Film der niederländischen Journalistin Elma Verhey, die gemeinsam mit Cilly den schwer kranken alten Mann Anfang der Neunzigerjahre in München aufspürte, und durch weitere Überlebende, die wie Cilly ihren Dank an Zündler durch eine Anerkennung der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem zum Ausdruck bringen wollten, brach eine heftige Diskussion los, die bis heute die Geister, nicht nur in der jüdischen Gemeinde der Niederlande, scheidet: Konnte ein SS-Mann, dessen Aufgabe in der Überwachung der Deportation tausender Juden bestand, eine Ehrung als ›Gerechter unter den Völkern‹ erhalten, selbst wenn er einigen zur Flucht verholfen haben mochte? Andererseits: War es nicht ein besonders beeindruckendes Beispiel von Menschlichkeit, wenn ein junger Mann, der als Mitglied der Danziger Polizei unfreiwillig der Waffen-SS eingegliedert worden war, dort, wo es ihm möglich gewesen war, nachweislich aktive Fluchthilfe geleistet hatte? Im Mai 1943, nicht lange nach der Begegnung mit Cilly, wurde Alfons Zündler wegen angeblicher ›Judenbegünstigung‹ verhaftet, zum Tode verurteilt, wegen einer früheren Kriegsverletzung aber begnadigt und ins KZ Dachau geschickt. Er selbst bemühte sich nach dem Krieg um die Beschaffung seiner Gerichtsunterlagen bei der niederländischen Regierung, die aber bis heute verschwunden blieben. Im Rahmen der Diskussion
über eine mögliche Ehrung Zündlers hatte sich ein Gegen-Komitee gebildet, das sie um jeden Preis verhindern wollte. Anfang 1995 entschied die Gedenkstätte Yad Vashem, dass Alfons Zündler keine Ehrung, sondern lediglich einen Dankbrief der Überlebenden erhalten solle. Die Gruppe seiner Unterstützer hatte ihm bereits zu seinem 75. Geburtstag 75 Bäume in Israel gepflanzt. Im Januar 1996 starb Alfons Zündler mit 77 Jahren in München (siehe Literaturliste).
    18 Diese Aussage basiert auf der deutschsprachigen Manuskriptfassung der Erinnerungen von Jutta Rosen-Levitus, S. 10 (siehe auch ihre niederländische Publikation in der Literaturliste).
    19 Von den rund 4500 jüdischen Kindern, die während des Krieges in den Niederlanden durch ›Untertauchen‹ gerettet werden konnten, begannen etwa 1000 Kinder (nach früheren Schätzungen) bzw. etwa 600 (nach jüngsten Forschungsergebnissen, vgl. Flim, Bert Jan 1996, S. 122) ihre Flucht von der Crèche aus. Dies war zweifelsohne auch der Kooperation der Directrice Henriette H. Pimentel und Walter Süskinds mit dem niederländischen Widerstand zu verdanken. Henriette H. Pimentel wurde bei der ›geschlossenen Abholung‹ der Crèche am 23. Juli 1943 ebenfalls nach Westerbork verbracht. Walter Süskind wurde Ende
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